Assassin's Creed: Der geheime Kreuzzug (German Edition)
nicht Bruder“, schrie Abbas so laut, dass es von den Hofmauern widerhallte. Er sprang mit einer Wildheit auf Altaïr zu, wie der sie noch nicht erlebt hatte. Aber obgleich Abbas die Zähne gefletscht und die Augen vor Wut zusammengekniffen hatte, konnte Altaïr Tränen erkennen, die sich in den Augenwinkeln seines Gegenübers gebildet hatten. Hinter dieser Attacke steckte mehr als simple Wut, das wusste er.
„Abbas, nein“, rief er und setzte sich verzweifelt zur Wehr. Er warf einen hastigen Blick nach links und sah die verwirrte Miene ihres Lehrers, der weder wusste, was er von Abbas’ Ausbruch noch von der plötzlichen Feindseligkeit zwischen den beiden Jungen halten sollte. Altaïr sah zwei weitere Assassinen auf den Übungsplatz zukommen, offenbar angelockt von Abbas’ Geschrei. Im Fenster des Verteidigungsturms am Zitadelleneingang tauchten Gesichter auf. Er fragte sich, ob auch Al Mualim ihnen zuschaute …
Abbas stieß mit der Schwertspitze nach ihm und zwang ihn, zur Seite auszuweichen.
„Abbas, was soll das … ?“, schalt ihn Labib.
„Er will mich umbringen, Meister“, rief Altaïr.
„Nun übertreib mal nicht, Kleiner“, sagte der Lehrer, auch wenn er nicht vollends überzeugt klang. „Vom Engagement deines Bruders könntest du dir ruhig eine Scheibe abschneiden.“
„Ich bin nicht … “, Abbas griff an, „… sein … “, er unterstrich jedes Wort mit einem wilden Schwerthieb, „… Bruder!“
„Ich wollte dir nur helfen“, rief Altaïr.
„Nein“, schrie Abbas. „Du hast mich belogen.“ Wieder schlug er zu, und es erklang das laute Klirren von Stahl. Altaïr wurde von der Wucht des Angriffs zurückgeworfen, er prallte gegen den Zaun und wäre fast rücklings darübergestürzt. Weitere Assassinen hatten sich versammelt. Einige wirkten besorgt, andere genossen das Schauspiel als unterhaltsame Ablenkung.
„Verteidige dich, Altaïr, verteidige dich!“, brüllte Labib und klatschte in die Hände. Altaïr riss das Schwert hoch, erwiderte Abbas’ Hiebe und zwang ihn zurück in die Mitte des Übungsplatzes.
„Ich habe die Wahrheit gesagt“, zischte er, als sich ihre Gesichter ganz nahe kamen und ihre Klingen vernehmlich aneinander entlangglitten. „Ich habe dir die Wahrheit gesagt, um deinem Leiden ein Ende zu machen, so wie ich meines gern beendet hätte.“
„Du hast gelogen, um Schande über mich zu bringen“, erwiderte Abbas. Er sprang zurück, ging in Stellung, duckte sich leicht und streckte einen Arm nach hinten, wie er es gelernt hatte. Die Klinge seines Schwerts bebte.
„Nein“, schrie Altaïr. Er tänzelte nach hinten, als Abbas heranstürmte. Er drehte das Handgelenk und erwischte Altaïr mit seiner Klinge. Warmes Blut quoll aus einer Schnittwunde an Altaïrs Hüfte. Er warf Labib einen flehenden Blick zu, aber der winkte ab. Altaïr presste eine Hand gegen seine Hüfte, und als er sie wegnahm, waren seine Fingerspitzen blutig. Er streckte sie Abbas entgegen.
„Hör auf damit, Abbas“, flehte Altaïr. „Ich habe die Wahrheit gesagt, weil ich hoffte, du würdest Trost darin finden.“
„Trost“, spie Abbas hervor. Der Junge sprach jetzt zu den versammelten Zuschauern. „Um mir Trost zu spenden, hat er mir erzählt, mein Vater hätte sich umgebracht.“
Einen Moment lang herrschte erschrockenes Schweigen. Altaïr sah von Abbas zu den Umstehenden. Er konnte kaum begreifen, wie sich das Blatt auf einmal gewendet hatte. Das Geheimnis, das er zu bewahren geschworen hatte, war auf einen Schlag allen bekannt.
Er schaute hinauf zu Al Mualims Turm. Dort sah er den Meister stehen, der herabblickte, die Hände auf dem Rücken, in seinem Gesicht ein undeutbarer Ausdruck.
„Abbas!“, rief Labib, der endlich begriff, dass etwas nicht stimmte. „Altaïr!“
Aber die beiden Jungen hörten nicht auf ihn. Ihre Schwerter trafen abermals aufeinander. Altaïr hatte Schmerzen und musste in die Defensive gehen.
„Ich dachte … “, setzte er an.
„Du wolltest Schande über mich bringen“, behauptete Abbas von Neuem. Jetzt flogen ihm die Tränen vom Gesicht. Er umkreiste Altaïr, dann drang er wieder auf ihn ein. Wild schwang er sein Schwert. Altaïr wich aus und entdeckte eine Lücke zwischen Abbas’ Arm und Oberkörper. Er stieß zu und fügte Abbas eine Wunde am linken Arm zu, von der er hoffte, dass sie ihn wenigstens so lange aufhalten würde, dass er ihm erklären konnte …
Doch Abbas schrie nur laut auf. Ein letzter Kampfschrei, mit dem er
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