Assassin's Creed: Die Bruderschaft (German Edition)
den Rand seines Bechers hinweg einen Blick auf eine hochgewachsene, athletisch gebaute blonde Frau in guter, aber unauffälliger dunkelgrüner Kleidung aus leichtem Stoff. Darin würde sie sich, sollte es nötig sein, schnell bewegen können.
„Ich habe sie“, sagte er.
Ihrer beider Blicke schweiften über die Mauer des Gebäudes, vor dem die Bude aufgebaut war. Das Haus war neu, modernes Bossenwerk, das aus großen, roh behauenen Quadern bestand, dazwischen tiefe Fugen. In regelmäßigen Abständen waren Eisenringe in die Mauer eingelassen, an denen man Pferde festbinden konnte.
Perfekt.
Sie schoben sich in den hinteren Teil der Bude, wo es jedoch keinen Ausgang gab.
„Wir müssen schnell sein“, meinte Machiavelli.
„Ihr sagt es“, erwiderte Ezio, stellte seinen Becher auf einem Tisch nahe des Eingangs ab, und Sekunden später hatte er die Mauer bereits zur Hälfte erklommen, dicht gefolgt von Machiavelli. Passanten sahen den beiden Männern offenen Mundes nach, wie sie mit flatternden Umhängen nach oben kletterten und auf die Dächer entschwanden, über Gassen und Straßen hinwegsprangen, während unter ihren Füßen Ziegel wegrutschten, nach unten fielen und auf dem Pflaster zerbrachen oder in den Schlamm unbefestigter Wege klatschten, derweil sich die Leute dort duckten oder zur Seite sprangen.
Selbst wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre, in einem langen Rock konnte die Frau nicht an senkrechten Mauern emporklettern, aber Ezio hatte gesehen, dass ihre Kleidung über dem Oberschenkel einen sorgfältig verborgenen Schlitz aufwies, der es ihr erlaubte zu rennen, und so jagte sie unter ihnen durch die Straßen und stieß jeden zur Seite, der ihr im Weg stand. Wer sie auch sein mochte, sie war gut trainiert.
Dennoch gelang es den beiden Männern, ihre Verfolgerin schließlich abzuschütteln. Schwer atmend hielten sie auf dem Dach von Sant Niccolò de Portiis an, legten sich flach hin und suchten mit scharfem Blick die Straßen in der Tiefe ab. Niemand dort unten wirkte übermäßig verdächtig; Ezio meinte nur, zwei von La Volpes Dieben bei der Arbeit zu erkennen, die mit kleinen Messern Geldbeutel von Gürteln schnitten. Das mussten wohl zwei sein, die nicht ausgewählt worden waren, um aufs Land hinauszugehen; er würde Gilberto später danach fragen.
„Gehen wir nach unten“, schlug Machiavelli vor.
„Nein, hier oben ist es einfacher, ungesehen voranzukommen, und es ist ja auch nicht mehr weit.“
„Es schien ihr keine große Mühe zu machen, uns zu folgen. Zum Glück fanden wir dieses Dach mit der hohen Mauer ringsum, wo wir die Richtung ändern konnten, ohne dass sie es bemerkte.“
Ezio nickte. Wer sie auch war, inzwischen würde sie Meldung machen. Er wünschte, sie wäre auf ihrer Seite. So mussten sie sich schnell zu der großen Wohnung begeben, die Giulia in Rom hatte, und dann schleunigst aus dem Quirinal-Bezirk verschwinden. Vielleicht sollte er bei zukünftigen Unternehmungen stets ein paar seiner Rekruten beauftragen, ihnen den Rücken freizuhalten. Die Borgia-Anhänger hielten sich unter dem harten Regime des neuen Papstes bedeckt, aber nur um die Obrigkeit in falscher Sicherheit zu wiegen.
Giulias erster Ehemann, Orsino Orsini, hatte gern über die Affäre seiner neunzehnjährigen Frau mit dem zweiundsechzigjährigen Rodrigo Borgia hinweggesehen. Sie hatte eine Tochter namens Laura, aber niemand wusste, ob Orsino oder Rodrigo der Vater war. Rodrigo, obgleich in Valencia geboren, war in der Kirche aufgestiegen, bis er die vatikanischen Finanzen kontrollierte, und er hatte sich seiner süßen jungen Geliebten gegenüber dankbar gezeigt, indem er sie in einem nagelneuen Haus in praktischer Nähe des Vatikans einquartierte (das sie längst wieder hatte aufgeben müssen) und ihren Bruder Alessandro zum Kardinal ernannte. Die anderen Kardinäle bezeichneten ihn als den „Kardinal der Röcke“, aber nur hinter seinem Rücken und freilich nie in Rodrigos Gegenwart. Giulia nannten sie die „Braut Christi“.
Ezio und Machiavelli sprangen auf die piazza hinunter, an der das Wohnhaus lag, in dem die Prinzessin residierte. Nicht weit entfernt standen zwei päpstliche Gardisten, ansonsten war der Platz verlassen. Die Gardisten trugen auf der Schulter das Wappen der Familie della Rovere – eine massive Eiche mit Wurzeln und Astwerk, jetzt gekrönt von der dreifachen Papstkrone und den Schlüsseln des Heiligen Petrus. Ezio erkannte die Männer – vor sechs Monaten hatten sie noch die
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