Assassin's Creed: Renaissance - Der offizielle Roman zum Videogamebestseller Assassin’s Creed 2 (German Edition)
Gott, bist du ein tapferer Junge. Du wirst dich deines Schicksals würdig erweisen. Und jetzt zum letzten Mal – geh endlich!“
Ezio rutschte vorsichtig vom Sims und klammerte sich an die Wand. So war er bereits außer Sicht, als er hörte, wie sein Vater weggeführt wurde. Er konnte es kaum ertragen, dem tatenlos lauschen zu müssen. Dann wappnete er sich für den Abstieg. Er wusste, dass Abstiege meistens noch schwieriger waren als Aufstiege, aber allein in den vergangenen achtundvierzig Stunden hatte er reichlich Erfahrung im Gebäudeklettern gesammelt. Und nun kletterte er also am Turm hinab, rutschte ein oder zwei Mal ab, fand aber jedes Mal wieder Halt. Schließlich erreichte er den Wehrgang; die beiden Wachen lagen noch genau dort, wo er sie zurückgelassen hatte. Glück gehabt! Er hatte ihre Köpfe so fest, wie er konnte, gegeneinander geschlagen, aber wenn sie wieder zu Bewusstsein gekommen wären und Alarm geschlagen hätten, während er an der Turmwand geklebt hatte … nun, über die Folgen wollte er gar nicht nachdenken.
Und es war auch keine Zeit, um über derlei Dinge nachzudenken. Er schwang sich über die Zinnen und schaute in die Tiefe. Es zählte jede Minute. Wenn er dort unten etwas fand, das seinen Sturz abfing, würde er den Sprung vielleicht wagen. Als seine Augen sich an die Düsternis gewöhnt hatten, sah er weit unter sich das Planendach eines verlassenen Stalls, der an die Mauer gebaut war. Sollte er es riskieren? Wenn der Sprung glückte, würde er ein paar kostbare Minuten gewinnen. Wenn er Pech hatte, wäre ein gebrochenes Bein das geringste seiner Probleme. Er musste auf seine Fähigkeiten vertrauen.
Er holte tief Luft und sprang ins Dunkel hinab.
Die Plane gab nach einem Fall aus solcher Höhe zwar unter seinem Gewicht nach, aber sie war so gut gesichert, dass sie genug Widerstand bot, um seiner Landung die ärgste Wucht zu nehmen. Er war außer Atem und hatte sich ein paar Rippen geprellt, die ihm morgen früh weh tun würden, aber er hatte es geschafft! Und niemand hatte Alarm geschlagen.
Er schüttelte sich und rannte in die Richtung davon, in der er vor ein paar Stunden noch zu Hause gewesen war. Als er dort anlangte, fiel ihm ein, dass sein Vater in der Eile vergessen hatte, ihm zu verraten, wie die Geheimtür zu finden war. Giulio würde es wissen, aber wo steckte Giulio jetzt?
Zum Glück hatten in unmittelbarer Nähe des Hauses keine Wachen gelauert, und er war problemlos hineingelangt. Vor dem Haus war er jedoch kurz stehen geblieben, fast unfähig, in die Dunkelheit hinter der Tür zu treten. Es war, als habe sich das Haus verändert, als sei seine Heiligkeit entweiht worden. Abermals musste Ezio seine Gedanken ordnen, sich bewusst machen, dass sein Tun von entscheidender Bedeutung war. Seine Familie musste sich jetzt auf ihn verlassen können. Er drang in das Haus seiner Familie, in dessen Dunkelheit ein. Kurz darauf stand er mitten im Büro, das von einer einzelnen Kerze mit unheimlichem Licht erfüllt wurde, und schaute sich um.
Die Garde hatte den Raum durchwühlt und gewiss eine große Anzahl von Bankunterlagen konfisziert, und das Chaos aus umgestürzten Bücherregalen, umgeworfenen Stühlen, am Boden liegenden Schubladen und überall verstreuten Papieren und Büchern erleichterte Ezio seine Aufgabe nicht. Aber er kannte das Büro, sein Blick war scharf, und er benutzte seinen Verstand. Die Mauern waren dick, in jeder davon konnte sich eine geheime Kammer verbergen, aber er ging auf die Wand zu, in die der große Kamin eingelassen war, und begann mit seiner Suche dort, wo sich der Kaminsims befand und die Mauer demnach am dicksten sein musste. Er hielt die Kerze dicht an die Wand, tastete sie mit Blicken ab, während er nach Geräuschen lauschte, die auf zurückkehrende Wachen schließen ließen. Nach einer Weile meinte er endlich, linker Hand des reich verzierten Simses die schwachen Umrisse einer Tür in der Vertäfelung zu erkennen. Wie ließ sie sich öffnen? Eine Möglichkeit dazu musste ganz in der Nähe zu finden sein. Sorgfältig musterte er die gemeißelten colossi , die den marmornen Kaminsims mit ihren Schultern stützten. Die Nase der Figur auf der linken Seite sah aus, als sei sie einmal abgebrochen gewesen und repariert worden, denn es war ein dünner Riss zu sehen. Ezio berührte die Nase und stellte fest, dass sie etwas locker war. Mit pochendem Herzen bewegte er sie vorsichtig, und die Tür schwang auf federgetriebenen Angeln lautlos nach innen
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