Assassin's Creed: Revelations - Die Offenbarung (German Edition)
beherrscht. Ihr Blick wanderte durch das Zimmer.
„Ich bin vor Einbruch der Dunkelheit wieder da“, sagte er in übellaunigem Ton zu ihr.
Er scherte sich einen Teufel um seine Manieren und stürmte hinaus. Jun sah ihm nach, ein leises Lächeln auf den Lippen.
Draußen flüchtete sich Ezio in seinen Weinberg.
86
Ezio war im Zimmer seiner Kinder und betrachtete im Kerzenschein ihre schlummernden Gestalten. Er trat ans Fenster und schloss es. Dann setzte er sich an Flavias Bett und musterte sie und Marcello mit schwerem Herzen. Sie sahen so friedlich aus, wie kleine Engel.
Plötzlich wurde es im Raum ein wenig heller, als Sofia eintrat, eine weitere Kerze in der Hand. Er sah zu ihr auf und lächelte. Sie lächelte zurück und setzte sich ans Fußende von Marcellos Bett.
Ezio sagte eine Weile lang nichts.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Sofia etwas scheu.
Er blickte gedankenverloren wieder auf seine Kinder hinab. „Ich scheine meine Vergangenheit nicht hinter mir lassen zu können“, flüsterte er rau. Dann richtete er den Blick auf seine Frau. „Ich habe diesen Akt meines Lebens so spät begonnen, Sofia. Ich wusste, dass ich nicht genug Zeit haben würde, um alles zu erleben, was er mir zu bieten hat … Aber jetzt fürchte ich, dass ich nicht einmal genug Zeit haben werde, um auch nur einen Teil davon auszukosten.“
Ihr Blick war traurig, aber voller Verständnis.
Von oben hörten sie ein schwaches Knarren. Sie schauten zur Decke hinauf.
„Was macht sie auf dem Dach?“, raunte Ezio.
„Lass sie in Ruhe!“, sagte Sofia.
Über ihnen stand Shao Jun auf den roten Ziegeln, hoch oben, unweit der Schornsteine. Sie hatte eine Haltung eingenommen, die irgendwo zwischen der Angriffsstellung eines Assassinen und der eines Menschen lag, der sich einfach nur entspannte. Ihr Blick wanderte über die im Mondlicht liegende Landschaft. Um sie herum flüsterte der Nachtwind.
Am nächsten Tag trat Ezio früh am Morgen aus der Villa. Über ihm lag ein grauer Himmel. Er schaute zum Dach hinauf, aber obgleich das Fenster ihres Zimmers offen stand, war von Shao Jun nichts zu sehen.
Er rief ihren Namen, erhielt jedoch keine Antwort. Er machte sich auf, um seinem Vorarbeiter Anweisungen zu erteilen, denn es nahte die Zeit der vendange , der Weinlese, und er betete, dass die Ernte in diesem Jahr gut ausfallen möge. Die Trauben schienen es zu versprechen, und das Wetter war den Sommer über sehr günstig gewesen. Auch die Reife, die veraison , war gut gewesen, aber Ezio wollte den Zucker- und Säuregehalt noch einmal überprüfen, bevor die Lese begann. Dann würde er den Vorarbeiter nach Fiesole und nötigenfalls auch nach Florenz schicken, um die Saisonarbeiter anzuheuern. Es stand eine geschäftige Zeit bevor, und Ezio freute sich jedes Jahr darauf – viel körperliche Betätigung und wenig Zeit, um über irgendetwas anderes nachzudenken. Shao Juns Ankunft hatte die hart erarbeitete Sicherheit, die er heute genoss, aus der Spur geworfen. Das ärgerte ihn. Er ertappte sich dabei, dass er hoffte, sie sei vor Tagesanbruch ihrer Wege gegangen.
Nach dem Gespräch mit seinem Vorarbeiter verspürte er einen unwiderstehlichen Drang, zur Villa zurückzugehen, um nachzusehen, ob sein Gebet erhört worden war. Er bezweifelte es zwar, aber als er das Haus betrat, war niemand da. Grimmig folgte er einem Instinkt, der in ihm rumorte, und suchte sein Arbeitszimmer auf.
An der Tür blieb er wie erstarrt stehen. Sie war offen. Er stürmte ins Zimmer und fand die Chinesin hinter seinem Schreibtisch vor, der immer noch mit verworfenen Notizen und beschriebenen Blättern von den Vortagen bedeckt war. Sie stand da und las einen Teil des fertigen Manuskripts.
Ezio wurde vom Zorn gepackt. „Was erlaubt Ihr euch? Schert Euch raus!“
Sie legte das Papierbündel, aus dem sie las, hin und sah ihn ruhig an. „Der Wind hat die Tür geöffnet.“
„Fuori!!“
Jun ging an ihm vorbei und aus dem Zimmer. Er trat rasch an den Schreibtisch, ordnete die Papiere und nahm ein Blatt auf, das ihm ins Auge fiel, und las, was darauf stand. Dann warf er es unbeeindruckt wieder auf den Stapel, wandte sich vom Schreibtisch ab und starrte leeren Blickes zum Fenster hinaus. Draußen sah er Jun auf dem Hof stehen. Sie kehrte ihm den Rücken zu und schien zu warten.
Er ließ die Schultern sinken. Ein paar Minuten zauderte er noch, dann verließ er das Zimmer und ging zu ihr hinaus.
Sie saß auf einer niedrigen Steinmauer. Er ging zu ihr. Der
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