Aster, Christian von - Die grosse Erdfer
nur gerade, dass…«
»Du läufst und denkst also gleichzeitig… Meinst du nicht, dass das ein wenig viel ist?«
Blechboldt fühlte sich ertappt. Er vergaß immer wieder, dass andere Zwerge derlei gewöhnlich nicht taten. Trinken, nicht denken!, ermahnte er sich innerlich dreimal. Dann zog er hastig die Flasche aus seinem Gürtel hervor, nahm einen tiefen Schluck Falschbier und rülpste dem Hohepriester ins Gesicht. Das schien ihm zwergisch genug. Dennoch beschloss er, sicherheitshalber ein wenig zu lallen, als er fortfuhr. »Nein, nein, gedacht habe ich bereits vorhin. Und ich habe auch mehr getrunken als gedacht, aber das, was ich gedacht habe, erschien mir derart klug, dass ich mir dachte, dass ich es eigentlich gar nicht gedacht haben könnte, da derlei doch nur Zwerge wie Ihr zu denken vermögen.«
»Denkst du, ich wüsste, was ich darüber denken soll, wenn du mir nicht verrätst, was du gedacht hast?«
»Ich denke nicht.«
»Aber du hast gedacht. Also sprich, Zwerg!«
»Ich habe mir schon gedacht, dass Ihr wusstet, dass ich etwas gedacht habe. Wahrlich, man kann Euch nichts vormachen, Ehrwürdigster!« Blechboldt überlegte, ob er ihn noch einmal anrülpsen sollte, hielt das dann aber doch für übertrieben. Einen zweiten Schluck Falschbier nahm er trotzdem, damit sein Gegenüber nicht auf die Idee kam, weniger als einen gestandenen und trinkfesten Zwerg vor sich zu haben. »Erlauchter, Erwählter und Erhabener, mir kamen die Prophezeiungen in den Sinn. Man muss sich doch fragen: Worum geht es eigentlich in ihnen? Wovon handeln sie genau?«
»Frag nicht so dumm, Zwerg. Die Immerschwarze, den Zwerg mit goldenen Zähnen und den, der kein Bier trinkt.«
Blechboldt trat der Schweiß auf die Stirn: Er wusste, dass er auf einem kleinen Stein balancierte. Schließlich war er selbst der Untrunkene, der Zwerg, der kein Bier trank. Und er wollte auf keinen Fall, dass irgendjemand davon erfuhr. Es war ein sonderbares Gefühl, von einem anderen zu sprechen und dabei sich selbst zu meinen.
»Sehr wohl, eben diese drei«, sagte er. »Die Immerschwarze wurde bereits gesichtet… Und welche Orte waren es, an denen jene vermeintlichen Unfälle geschahen und an denen die fraglichen Zwerge ums Leben kamen?«
»Hast du nicht zugehört, als der Verwalter davon gesprochen hat? Ein Braugewölbe und die Höhle eines Kieferbiegers waren es.«
»Und womit beschäftigen sich diese Zwerge für gewöhnlich?«
»Willst du mich für dumm verkaufen? Der eine braut Bier, der andere kümmert sich um Zähne. Worauf willst du denn…«
Und jetzt schien es dem Alleroberhöchsten wie Schieferplatten von den Augen zu fallen. Natürlich! Bier und Zähne. Das konnte kein Zufall sein! Die Verschwörer versuchten, sich die Prophezeiung zunutze zu machen, indem sie diese einfach selbst erfüllten! Sie hatten sich einen Wurzelmeister gesucht, der Bier braute, das man für Wasser hielt, und einen Kieferbieger, der einem ihrer Mitverschwörer ein goldenes Gebiss in den Mund hämmerte! So musste es sein!
Das also war der Plan der Verschwörer. Teuflisch, fürwahr. Damit ließ sich ein ganzes Volk in Angst und Schrecken versetzen!
Ärgerlich, dass die große Erzferkelprophezeiung derart alt war, dass wirklich jeder Zwerg sie kannte. Andernfalls hätte man womöglich noch irgendetwas umprophezeien können. So aber hatten die Zwergendämonen alle guten Steine in der Hand!
Er hatte seine Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als er zu ahnen begann, weshalb den Seelenlosen die nächste Audienz des Verwalters so wichtig war: Sie wussten, dass er, der Verkünder alles zu Verkündenden, den Gesetzen entsprechend den Lauf des Olms würde verkünden müssen, worauf das Eherne Volk erfahren würde, dass das Orakel das nahende Ende prophezeit hatte. Getreu seiner Pflicht würde er dem Ehernen Volk den bevorstehenden Untergang verkünden, und die Dämonen würden ihn herbeiführen. Sie würden dafür sorgen, dass das Volk die Vorboten des drohenden Unheils zu sehen bekamen: die Spinne, den Goldbezahnten und den Untrunkenen. Und dann würde sich das Eherne Volk an jeden klammern, der ihm Rettung verhieß…
Der Allerhöchste gab sich alle Mühe, sich die Tragweite dieser Erkenntnis nicht anmerken zu lassen. Weder verlangsamte er seinen Schritt noch wurde er schneller. Blechboldt aber erkannte trotzdem, dass der Begreifende unter den Begriffsstutzigen verstanden hatte, worum es ging.
»Du hast recht, Zwerg«, sagte der Hohepriester und blickte
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