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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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begleiten.
    Scooter hatte ihm den Ort beschrieben,
an dem er die Grenze überwinden sollte. Er lag am westlichsten Punkt der Stadt.
Sein Freund – und je häufiger er ihn in Gedanken so nannte, desto vertrauter
erschien es ihm – hatte ihm auch gesagt, dass er von hier aus immer nach Westen
marschieren sollte. Irgendwo dort sollte es laut der Gerüchte, die man sich in
der Stadt zuraunte, eine größere Siedlung der Außenwelt geben. Da er keinen Kompass
besaß, orientierte sich Torn am Stand der Sonne.
    Doch was er dann sah, machte
diesen Plan überflüssig. Es war eine geradezu atemberaubende Entdeckung …
    Eine Straße.
    Ein langer, gerader Strich in der
öden Landschaft, der von der Grenze aus bis zum Horizont verlief. Der Asphalt
war so schwarz, als hätten ihn die geheimnisvollen Erbauer der Straße erst
gestern gegossen, die weißen Markierungsstreifen leuchteten in der Sonne. Wer
immer diese Straße geschaffen hatte, war bestimmt alles andere als ein armer
Elendsflüchtling aus dem Süden.
    Wieder drehte er sich um und sah
zurück zur Grenze.
    Wer wird hier
eigentlich vor wem geschützt?
    Vielleicht hatte Scooter recht
mit dem, was er ihm erzählt hatte.
    Wir sind
Rebellen, Boss. Revolutionäre. Guerilleros, hatte er gesagt, und in
seinen Augen hatte ein romantisches Feuer gebrannt. Man hat
uns in dieses dunkle Loch verbannt. Es ist so eine Art KZ für Widerstandskämpfer, verstehst du?
    Leider reichte Scooters
lückenhafte Erinnerung nicht soweit, dass er hätte sagen können, warum und
wogegen sie rebelliert hatten. Ganz sicher war er sich nur darin, dass er und
Torn schon als Freunde in die Verbannung gegangen waren. Irgendwie hatte man
sie und alle anderen Bewohner einer Art Gehirnwäsche unterzogen und ihnen die
Erinnerung an ihr früheres Leben geraubt. Der Surge, der weltweite Klimasprung,
der Milliarden Leben ausgelöscht und Torn und all die anderen in die Stadt
als letzten Zufluchtspunkt getrieben hatte, war nach Scooters Überzeugung nicht
mehr als ein Märchen. Ein Hirngespinst, gewoben von denjenigen, die sie eingesperrt
und ihre Gehirne manipuliert hatten.
    Torn hatte ihm von seinem
wiederkehrenden Traum erzählt. Scooter war hellauf begeistert gewesen und hatte
den Traum sofort als Erinnerungsfragment an den Prozess der
Gedankenmanipulation gedeutet. Die Injektionsspritze, die Torn im Traum immer
wieder sah, war Scooters Ansicht nach das Instrument, mit dem man Torn und
allen anderen die falsche Erinnerung an den Surge und alles andere eingepflanzt
hatte.
    Anders als bei den meisten hatte
Scooters Gedächtnis die eingepflanzten Erinnerungen teilweise abgestoßen,
sodass Bruchstücke seiner wirklichen Vergangenheit wieder zum Vorschein kamen.
Durch eine Zufallsbegegnung hatte er erkannt, dass er nicht der Einzige war,
dem es so ging, und so hatte er den Ordo Lucis gegründet, einen Bund
derjenigen, die überzeugt davon waren, Gefangene einer Macht zu sein, die sie
besiegt und eingesperrt hatte.
    Jene zufällige Begegnung war
Vittorio Sputano gewesen. Der oberste aller Clanchefs hatte selbst
Erinnerungen an eine frühere Existenz, und darum hatte er Scooter und den Ordo
Lucis nach Kräften unterstützt. Anfangs hatten die Mitglieder des Ordo Lucis
auch die übrigen Bewohner der Stadt von ihrem schlimmen Verdacht überzeugen
wollen, doch die falschen Erinnerungen hatten sich bei den meisten als
erstaunlich resistent gegen jede Art von Infragestellung erwiesen. Scooter und
Vittorio war es erschienen, als ob ihre Mitmenschen mit aller Macht und gegen
jede Logik an den Surge und ihre eigene Errettung durch die rechtzeitige
Ankunft in der Stadt glauben wollten. Also hatten sie ihre Strategie geändert
und jene um sich versammelt, denen es so ging wie ihnen selbst.
    So war der Ordo Lucis zunächst
nicht mehr als ein verborgenes Netzwerk gewesen, dessen Mitglieder
untereinander schemenhafte Erinnerungen an ein früheres Leben, an eine andere
Welt und die sogenannten Offlands ausgetauscht hatten. Leider beschränkten
sich diese Erinnerungen bei den meisten nur auf bruchstückhafte Bildfetzen. Bei
anderen allerdings hatte die Erkenntnis, dass sie früher ein anderes Leben
geführt hatten, eine andere Person gewesen waren, zu einer tragischen
Entwicklung geführt.
    Scooter hatte ihm erzählt, dass
ein Koch zu ihm gekommen war, fest davon überzeugt, vor seiner Ankunft in der
Stadt ein gefährlicher Sexualstraftäter und mehrfacher Mörder gewesen zu sein.
Bevor sich darüber mehr hatte herausfinden

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