Asylon
mir heute schon zweimal zur Verfügung gestanden, und für ein
drittes Mal reicht, fürchte ich, meine Manneskraft nicht mehr aus.«
»Verzeihung, Chef«, sagte der
Mann, »Sie ließ sich nicht abweisen. Sagt, es geht um den Gouverneur. Soll
irgendwen entführt haben. Dachte, das interessiert dich.«
Die Stimme des Mannes klang
irgendwie seltsam, als hätte er einen Schnupfen.
»Hm. Ich bin eigentlich heute
nicht mehr in der Stimmung für Politik, aber ich gebe dir eine Chance«, sagte
Sputano gönnerhaft. »Der Handel geht wie folgt: Du beantwortest mir eine Frage;
antwortest du richtig, höre ich mir an, was du zu sagen hast; ist die Antwort
falsch, überlasse ich dich Pinocchio hier. Er hat eine Schwäche für kleine,
zarte Mädchen wie dich.« Er deutete auf den Typen hinter ihr.
Saïna, die ihren Begleiter bisher
nicht gesehen hatte, wandte den Kopf – und schrak vor Abscheu zusammen.
Vor ihr stand ein großer Kerl im
rostroten Anzug mit grünem Plastron. Von seiner Nase existierten nur noch die
zwei Löcher in seinem Schädel. Er grinste sie so lüstern an, als wäre sie
bereits sein Eigentum. Schnell richtete sie den Blick wieder auf Sputano.
»Also, wie steht’s? Spielst du
mit?«
»Was ist, wenn ich Nein sage?«,
fragte Saïna, die angesichts der Alternativen tatsächlich mit dem Gedanken
spielte, sang- und klanglos zu verschwinden.
Sputano zuckte gelangweilt mit
den Schultern. »Da ich Pinocchios Arbeitskraft kaum dafür verschwenden möchte,
dich wieder hinauszuführen, würde ich ihm in diesem Fall wohl befehlen, dich zu
erschießen.«
Saïna musste schlucken. Der Mann
sah nicht aus, als ob er sich einen Scherz erlaubte.
»Also habe ich gar keine Wahl«,
stellte sie fest.
»Oh …« Er stand auf und begann
sie zu umrunden, die Schleppe seines Mantels hinter sich her schleifend. »Ich
denke, du hast durchaus eine Wahl. Du hast die Wahl, meine Frage richtig zu
beantworten oder von Pinocchio gefickt oder erschossen zu werden. Das ist mehr
Wahl, als die meisten bekommen haben, die es bisher wagten, meine
Nachmittagsmeditation zu stören.«
Saïna wünschte sich zutiefst, sie
wäre nie auf die Idee gekommen, Sputanos Unterstützung in Anspruch nehmen zu
wollen. Was hatte sie von diesem Gangsterboss erwartet? Aber es half nichts,
sie war hier und würde ihre Chance nutzen, so gut sie konnte.
»Also dann«, sagte sie müde.
Sputano blieb vor ihr stehen.
»Was ist das sicherste Gefängnis?«
Die Frage hallte in ihrem
Bewusstsein nach. Sie hatte mit allem möglichen gerechnet, antike Rätsel wie
das der Sphinx, Zahlenrätsel wie das der sieben Häuser mit den sieben Katzen.
Aber dieses …
Ihr Blick traf sich mit dem von
Sputano. Es war klar, dass er eine bestimmte Antwort im Sinn hatte. Es war eher
wie ein Odinsrätsel, zu dem nur der, der die entsprechende Frage stellte, die
Antwort wissen konnte. Sie erinnerte sich an die Pistole, die sie zuvor an Pinocchios
Gürtel gesehen hatte. Sie würde sich darauf stürzen. Entweder gelang es ihr,
sie an sich zu reißen, oder er würde sie erschießen. Wenn sie an Pinocchios
Grinsen dachte, wusste sie, dass es Dinge gab, die schlimmer waren als der Tod
…
Heureka!
»Das sicherste Gefängnis ist der
Tod.«
Sputano starrte sie unverwandt
an. Nicht die geringste Regung war in seinem Gesicht auszumachen. Dann schmunzelte
er auf einmal. Saïna entspannte sich etwas. Wundersamerweise schien sie die
richtige Antwort gegeben zu haben.
»Und wirst du mir jetzt helfen?«
»Nein«, sagte er immer noch
schmunzelnd.
»Aber ich habe dein Rätsel
gelöst«, brauste sie auf.
»Hast du nicht.«
Saïna rieselte ein kalter Schauer
über den Rücken. »Aber …«, wollte sie protestieren, doch Sputano fiel ihr ins
Wort.
»Nein, das ist nicht die Antwort,
die ich hören wollte, aber es ist eine gute Antwort. Eine, auf die ich noch gar
nicht gekommen bin. Das gefällt mir. Ich lasse dich am Leben, und Pinocchio
muss sich anderweitig vergnügen.«
Er winkte seinen Untergebenen
fort. Der entfernte sich mit einem letzten, bedauernden Blick auf Saïna.
»Also hilfst du mir doch?«, wagte
Saïna noch einmal zu fragen.
»Wie soll ich dir helfen, wenn
ich gar nicht weiß, worum es eigentlich geht? Bis jetzt hab ich nur vernommen,
dass dich irgendein Ärger mit unserem lieben Gouverneur hergeführt hat.
Vielleicht wärst du so liebenswürdig, mir auf die Sprünge zu helfen.«
Saïna atmete tief durch. Sie
überlegte kurz, wo sie beginnen sollte, und kam zu dem
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