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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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Ich bin da gewissermaßen Experte.«
    Saïna schlug sich die Hände vors
Gesicht. Sie wollte ihm den Triumph ihrer Tränen nicht gönnen. Wenn es etwas an
ihr gab, worauf sie stolz war, dann dass sie nie etwas auf Kosten anderer
erreichen wollte. Doch die schemenhaften Erinnerungen, die immer stärker in ihr
Bewusstsein drängten, zeigten ihr, dass das offenbar nicht immer so gewesen
war. Wie aber konnte das sein? Wie hatte sie anderen Menschen so etwas antun
können? Wenn es stimmte, wenn das die Wahrheit war, dann war sie kaum besser
als er. Nur irgendeine Wissenschaftshure, die Menschen ihrem Ehrgeiz opferte,
als wären es Laborratten. So wollte sie nicht sein. Niemals.
    Sie ließ die Hände sinken und sah
Vanderbilt an, sah die Pistole in seiner Faust. Sie wünschte sich, er würde
abdrücken und allem ein Ende machen.
    »Was will der Mann von uns?
Können wir jetzt nach Hause gehen, Tante Saïna?«
    Poosahs Stimme. Zögernd trat ihr
Bewusstsein zurück von dem Abgrund, in den sie geblickt hatte.
    Poosah. Sie zu
retten wäre vielleicht das einzig Gute, was ich in meinem verpfuschten Leben
getan habe.
    Sie atmete tief durch. Die
Staubwolke war mittlerweile deutlich sichtbar. Es konnte sich nur um eine
Kolonne von Fahrzeugen handeln, die augenscheinlich auf dem Weg zur Grenze war.
Wenn sie ihn nur noch ein bisschen hinhalten konnte …
    »Wer sind all die Leichen?«
    »Leichen? Welche meinst du? Es
gab so viele in meinem Leben.«
    »Die in deinem Büro.«
    »Oh, die. Das sind die
Mitarbeiter, von denen ich vorhin sprach. Der Stab, den ich mir aufgebaut
hatte. Nur war ich in letzter Zeit nicht sehr mit deren Arbeit zufrieden. Also
habe ich sie nach und nach zu einem Kündigungsgespräch in mein Büro gebeten.«
    Saïna meinte, in der Staubwolke
einzelne Fahrzeuge ausmachen zu können. Aber sie waren noch mindestens eine
halbe Meile entfernt, und ihr gingen allmählich die Fragen aus. »Was hast du
Lynn angetan?«
    »Deiner Freundin? Nun, das war
Zufall. Sie war eben einer von diesen Ordo-Lucis-Gläubigen. Lief mir
geradewegs in die Arme. Und sie hat brav mitgespielt. Ist auf eine Mine
getreten. Als es unter ihrem Fuß klickte, hat sie gewusst, dass sie sterben
würde, dass die Explosion sie zerfetzen würde. Und dann … Boom! Toller Anblick. Ich wünschte, ich könnte dir … Ach, was sag ich. Ich werde es
dir an der Kleinen demonstrieren.«
    Er hob die Pistole und zielte
vage in ihre Richtung. Saïna spürte, wie sich Poosahs Finger fester in ihren
Overall gruben.

16
    Der Schuss hallte über
die Hügel, hinter denen sich die Stadt verbarg. Die Kraft schwand aus Saïnas
Beinen, als würde sie jemand aus ihr heraussaugen. Sie sackte in sich zusammen
und zog Poosah mit zu Boden.
    Ihr Blick fiel auf Vanderbilt,
der sich die blutende Schulter hielt und wimmerte wie ein kleines Kind. Die
Pistole war im hohen Bogen in das Minenfeld geflogen und lag kaum zwei Meter
von Saïna entfernt.
    In diesem Moment kamen die ersten
Offroader der Kolonne direkt hinter Vanderbilt in einer großen Staubwolke zum
Stehen. Die Tür des Wagens, der die Spitze der Kolonne gebildet hatte, wurde
aufgestoßen, und ein stiernackiger Mann mit Glatze sprang ins Freie. In der
Hand hielt er ein Gewehr mit Zielfernrohr. Sputano.
    An der Fahrerseite stieg ein
riesiger Kerl in einem grotesken Pelzbehang aus dem Fahrzeug. Kopf und Gesicht
waren unter einem Helm verborgen, der nur einen Sehschlitz für die Augen
aufwies. Irgendwie kamen Saïna seine Bewegungen vage bekannt vor.
    Vanderbilt wandte sich mit
schmerzverzerrtem Gesicht den Neuankömmlingen zu, die zu Dutzenden aus den
Offroadern quollen.
    Da war eine Gruppe von Asiaten,
die von einem langen, dürren Kerl mit pockennarbigem Gesicht angeführt wurden.
Er betrachtete Vanderbilt neugierig aus schmalen, wässrig braunen Augen. Weiter
hinten stand ein Mann mit langem, fettigem Haar und eisgrauem Rauschebart, der
eine Art Kosakenkostüm trug; auch er führte offenbar eine Gruppe Männer an. Da
waren noch mehr Männer, die aus den Offroadern stiegen und offensichtlich bei
der jeweiligen Gruppe, die sie begleitete, das Sagen hatten. Ohne sie jemals
zuvor gesehen zu haben, begriff Saïna, dass es sich um die anderen Clanchefs
und ihr Gefolge handelte.
    »Was ist hier los?«, donnerte
Sputano, während er dem Behelmten sein Gewehr reichte.
    »Es geht nur um eine gewöhnliche
Verbrecherin«, rief Vanderbilt, der seine Fassung zurückgewonnen hatte. »Sie
hat die Mutter dieses Kindes getötet und will

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