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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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bedeckten, war er eindeutig zu erkennen. Als hätte ein monströses,
blutlüsternes Scheusal sich die körperliche Gestalt des wichtigsten Mannes der
Stadt geliehen.
    »Ich möchte Sie in meiner
Residenz herzlich willkommen heißen«, sagte er, breitete die Arme mit den
blutbesudelten Händen aus und trat auf sie zu.
    Vor Angst und Ekel würgend wich
Saïna vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Ihre Hände
zitterten unkontrolliert.
    In der Mitte des Raums blieb er
unvermittelt stehen. »Oh, ich verstehe. Sie sind eine schüchterne junge Dame.
Wahrscheinlich hat Marcia«, er wies hinter sich auf die Leiche der Sekretärin,
»Sie durch ihr unhöfliches Verhalten irritiert. Aber Sie müssen ihr verzeihen,
denn«, er begann zu flüstern und legte dabei die Handfläche an den Mund, als
würde er ihr ein Geheimnis zuraunen, »sie ist ein bisschen … tot.« Unvermittelt
lachte er laut los. »Verstehen Sie?«, prustete er. »Ein bisschen tot! Köstlich,
nicht?«
    Völlig
durchgedreht!, schoss es Saïna durch den Kopf. Der
Kerl ist ein krankes Ungeheuer! Und ich bin das nächste Opfer, wenn es mir
nicht gelingt, ihm zu entkommen!
    Zeit, dachte
sie verzweifelt. Ich muss Zeit schinden.
    »Sie haben all diese Leute in die
Falle gelockt«, sagte sie mit wild klopfendem Herzen und vibrierender Stimme.
    Er zog die Augenbrauen zusammen.
»Wie meinen Sie das?« Dann hellte sich sein Gesicht wieder auf. »Oh, Sie meinen
die Nestflüchter. Ja …« Er hob die Hände in einer entschuldigenden Geste.
»Irgendwann sind mir die Angestellten ausgegangen, und ich saß auf dem
Trockenen. Da ist mir die Geschichte vom Ordo Lucis untergekommen, und ich
hatte diese grandiose Idee. Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit? Sie wollen
von ihrem trostlosen Leben hier in dieser Stadt befreit werden, und ich mache
das möglich. Auch wenn ich zugeben muss, dass sich die meisten von ihnen das
wahrscheinlich etwas anders vorstellen. Aber es hat auch noch einen weiteren
Nutzen. Wissen Sie, die dort draußen«, er machte eine vage Geste hinter sich,
»die waren wirklich wütend, als ich damals den echten Gouverneur beseitigt
habe. Aber, wie Sie sehen, haben sie keine Konsequenzen gezogen. Und warum,
glauben Sie, ist das so?« Als Saïna nicht antwortete, zwinkerte er ihr fröhlich
zu. »Ich habe das Flüchtlingsproblem gelöst. Seit es mich gibt, hat es kaum
mehr jemand lebendig über die Grenze geschafft. Ich denke, auf diese Weise habe
ich sie überzeugt, dass meine … äh … wie soll ich sagen?, mein Wirken auch zu
ihrem Nutzen ist.« Stolz wippte er auf den Zehen, fast als erwartete er, von
ihr gelobt zu werden.
    Dann hörte er abrupt damit auf.
Das Lächeln auf seinem Gesicht gefror von einer Sekunde zur anderen zu einer
blutüberströmten Schreckensfratze. Saïna dämmerte, dass ihre Stunde gekommen
war.
    »Und jetzt meine Liebe, ist es
Zeit, sich um Sie zu kümmern. Wir sind uns schon einmal begegnet, nicht wahr?«
    Er trat wieder auf sie zu. Saïna
stand mit dem Rücken zur Wand.
    »Ich erkenne deinen Geruch«,
flüsterte er abrupt zum Du übergehend, während er auf sie zu schlurfte. »Wir haben
uns in der Pathologie getroffen. Du bist eine begabte junge Frau, eine der
Hausmeisterinnen des Krankenhauses, nicht wahr? Du könntest Marcias Stelle
einnehmen. Die Arme ist reif für eine Ablösung.«
    Er griff in die Innentasche
seines Jacketts und zog einen schweren Hammer hervor, an dessen Kopf verkrustetes
Blut klebte. Kaum mehr als vier Schritte lagen noch zwischen ihnen.
    Komm näher, dachte sie mit dem Mut der Verzweiflung. Noch ein bisschen.
So ist es gut.
    Ihre Hand fuhr mit dem
Pfefferspray aus ihrer Jackentasche, und sie verpasste ihm eine volle Ladung.
Mit markerschütterndem Gebrüll zuckte er von ihr zurück und rieb sich die
Augen, die sofort zu tränen begannen.
    Saïna verlor keine Sekunde. Sie
schoss in einem weiten Bogen um ihn herum und war mit drei, vier großen Sätzen
bei der Tür. Diesmal wusste sie, wie schwer sich die Türflügel bewegen ließen,
und stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Dann schlüpfte sie durch den Spalt
und sprang die kurze Treppe hinab in die Halle.
    Wo ist der
verdammte Eingang?
    Hinter ihr schrie Vanderbilt, der
gerade die Tür aufriss, irgendetwas Unverständliches.
    Direkt vor ihr sah Saïna die
schwere Eisentür, die sie vorhin blind durchschritten hatte. Sie hastete los.
    Ein hasserfüllter Chor von
tausend Vanderbilts schrie hinter ihr her.
    » ICH WEISS, WO ICH DICH

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