Aszendent Blödmann
ein. Furchtbar! Dieser Mann brauchte wirklich ein Kindermädchen, das den lieben langen Tag hinter ihm herräumte! Das personifizierte Chaos. Während weniger unordentliche Zeitgenossen nach ihrer inneren Mitte oder dem Sinn des Lebens suchten, verplemperte Kai seine Zeit damit, so banalen Dingen wie seinem Kugelschreiber oder seinem Autoschlüssel hinterherzujagen. Obwohl es noch gar nicht so lange her war, dass er mit seinem albernen P-Touch und einer Vorratspackung Zuckerstückchen am Schreibtisch gegenüber Quartier bezogen hatte, war es ihm bereits gelungen, unser Büro in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Verzweifelt versuchte ich, der Unordnung Herr zu werden.
Während ich die kleinen und die großen Umschläge in die dafür vorgesehenen Fächer sortierte, hörte ich hinter mir Yvonnes Stimme: »Der Kaffee ist fertig.«
»Vielen lieben Dank.«
Ich brauchte mich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, dass Yvonne soeben eine Tasse Kaffee und ein kleines Tellerchen mit Keksen auf Kais Schreibtisch gestellt hatte. Dieser Service war mittlerweile zu einem festen Ritual geworden, das sich zweimal am Tag, morgens um neun und nachmittags um halb vier, wiederholte.
»Wann war das noch mal, als Sie verlernt haben zu laufen?«, fragte ich spitz, nachdem Yvonne unser Büro wieder verlassen hatte.
Kai grinste breit. »Yvonne mag mich einfach. Auch wenn Sie das offenbar nicht verstehen können. Obwohl: Wenn Sie mal ganz tief in sich hineinhorchen, werden Sie feststellen, dass Sie mich eigentlich ganz sympathisch finden.«
Ich legte für einen Moment die Briefumschläge zur Seite und tat, als würde ich auf meine innere Stimme hören. Dann zuckte ich mit den Schultern. »Nein.«
»Noch tiefer.«
Erneut gab ich vor, in mich hineinzuhorchen. »Nein, bedaure.« Nachdem die Fronten geklärt waren, fuhr ich fort, die Briefumschläge zu sortieren. »Meine Güte, so schwer ist das doch nicht! Rechts die großen Umschläge, links die kleinen.«
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie entzückend aussehen, wenn Sie sich so aufregen? Ihre Augenfarbe verändert sich. Und Sie bekommen ganz rote Ohren.«
»Blödsinn«, knurrte ich. »Ich bekomme keine roten Ohren.« Und falls doch, hatte der Rest meines Gesichts sich wohl mittlerweile dieser Farbe angepasst. »Und jetzt noch mal zum Mitschreiben: links die großen Umschläge, rechts die kleinen.«
»Sagten Sie nicht eben, rechts die großen, links die kleinen?«
Ich stutzte. »Ja natürlich. Verdammt noch mal. Sie bringen mich ganz durcheinander.« Ich wusste nicht, auf wen ich wütender war: auf Kai oder auf mich selbst.
»Ich gelobe Besserung.« Den treuherzigen Dackelblick konnte er sich schenken. Da musste er sich schon eine andere Dumme suchen, die darauf hereinfiel!
Wie auf Kommando steckte Yvonne in diesem Moment den Kopf durch die Tür. »Lasst alles stehen und liegen. Ihr sollt rüber zur Chefin kommen.«
Als ich gemeinsam mit Kai Ilkas Büro betrat, begann ich unwillkürlich zu frösteln. Ein Blick in Ilkas graublaue Augen reichte, um mir das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Insgeheim hatte ich gehofft, Ilka würde sich mit dem Gedanken, dass Conrad und ich ein Paar waren, vielleicht nicht unbedingt anfreunden, aber doch zumindest arrangieren. Das Gegenteil schien der Fall zu sein. Sie musterte mich beinahe schon hasserfüllt. Immerhin besaß sie die Freundlichkeit, nicht nur Kai, sondern auch mir einen Stuhl anzubieten. Dann erklärte sie, warum sie uns zu sich zitiert hatte.
»Ich bin heute Morgen mit Verena den Belegungsplan durchgegangen. Bis in den September hinein sind wir komplett ausgebucht. Für Oktober haben wir bereits einige Vorreservierungen, Anfang November sieht die Bettenbelegung allerdings mau aus. Um das Hotel vollzukriegen, werden wir uns was einfallen lassen müssen.«
Kai und ich nickten brav. Uns war wohl beiden klar, wer mit »wir« gemeint war. Ilka hatte garantiert nicht vor, sich ihr hübsches Köpfchen darüber zu zerbrechen, wie wir neue Gäste an Land ziehen konnten. Dafür hatte sie schließlich uns.
Das Wallemrath Hotel war das ganze Jahr über geöffnet. Im Sommer kamen die Gäste zum Baden, im Winter quartierten sie sich zum Skifahren bei uns ein. Ganz in der Nähe des Hotels gab es einige sehr schöne Langlaufloipen, auch zum Schlittenfahren war die Umgebung ideal. Während wir sowohl in den Sommer- als auch in den Wintermonaten meistens bis auf die Besenkammer ausgebucht waren, kam es vor allem im Spätherbst
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