Aszendent zauberhaft
»Ich lasse Sie nur zu gerne in Ruhe. Ich habe weit Besseres zu tun, als alle fünf Minuten hier hochzurennen, um zu prüfen, ob Sie AC/DC gegen Coldplay ausgewechselt und sich die Pulsadern aufgeschlitzt haben.«
»Wozu ich durchaus Lust kriegen könnte – insbesondere, wenn zu der Musikmischung noch Radiohead dazukäme. Allerdings kann ich Ihnen versichern, dass ich momentan nicht im Geringsten selbstmordgefährdet bin. Nur reichlich angepisst darüber, dass ich im zarten Alter von zweiunddreißig Jahren noch mal ganz von vorne anfangen muss.«
Das konnte Phoebe durchaus nachfühlen, aber sie hatte nicht vor, es auszusprechen. »Immerhin haben wir beide nach wie vor ein Dach über dem Kopf und einen Job, um die Rechnungen zu bezahlen und …«
»Abgedroschene Phrasen!«, knurrte Rocky. »Ihnen mag es ja ganz gut gehen, mit Ihrem kleinen Friseurjob und Ihren Freundinnen und Ihren liebenden Eltern, aber ich stehe wieder hier und habe nichts von alledem.«
Ach je, jetzt wird er sentimental, dachte Phoebe. Aggressiv und weinerlich. Tolle Kombination.
»Aber Sie haben doch immerhin Ihren Job, und zwar einen wirklich großartigen Job. Reisen um die ganze Welt, Aufenthalt
in exotischen Ländern, Sie sehen Orte, von denen Menschen wie ich nur träumen können…«
»Mein Job?« Wieder klang Rockys Lachen wie ein zorniges Keuchen. »Sie haben wirklich keinen Schimmer, was? Ich arbeite schon seit Ewigkeiten nicht mehr als Steward. Ich bin gefeuert worden. Es wundert mich wirklich, dass Mindy Ihnen nicht all die pikanten Details genüsslich aufs Brot geschmiert hat.«
»Tja, hat sie nicht.« Phoebe verkniff sich zu sagen, dass Mindy das wahrscheinlich gern getan hätte, wenn sie nicht durch einen Telefonanruf unterbrochen worden wären. »Tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie Ihren Job verloren haben, ich dachte, Sie wären noch immer …«
Rocky schüttelte den Kopf. »Der wahre Grund, warum Sie mich hier in letzter Zeit nicht gesehen haben, ist derselbe, den Mindy zum Vorwand genommen hat, um mich zu verlassen.«
Ein Airbus-Pilot, auch bei ihm? War Rocky ein verkappter Schwuler? Falls ja, hätte YaYa gar nicht mal so falsch gelegen.
Rocky fuhr fort. »Ja, wie Sie sich wohl gedacht haben, war ich fort. Aber nicht, um Plastikmenüs an Touristen zu verteilen oder mich an abgelegenen Stränden zu sonnen. Weit entfernt davon – die Fluggesellschaft konnte mich gar nicht schnell genug loswerden. Irgendwie wollten sie keinen Steward, der wegen GKV verurteilt wurde.«
GKV? GKV?
»Ist schon komisch.« Rocky klang alles andere als amüsiert. »Verstehe gar nicht, warum. Bestimmt haben sie befürchtet, ich könnte mit dem Plastikbesteck auf die Passagiere losgehen.«
»Was?« Phoebe furchte erneut die Stirn, das Herz rutschte ihr bis zu den Sohlen ihrer Flipflops. »GKV? Sie meinen …«
»Jawohl. Gefährliche Körperverletzung. Jemanden grün und blau schlagen. Ich bin gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.«
6. Kapitel
A uf einen sengend heißen Juli folgte ein noch glühenderer August. Essie stand in ihrer üblichen Trauerkleidung – weite schwarze Leinenhosen und eine schwarze Spitzenbluse, dazu allerdings ein leuchtend rosa Tuch in den Haaren – mit einem Glas lauwarmem süßen Sherry in der einen und einem labbrigen Schinkensandwich in der anderen Hand im überfüllten Speisesaal von Twilights.
Ada Mackies Beerdigung war – für eine Twilighter-Beerdigung – ganz gut gelaufen. Es war ein Standardbegräbnis gewesen, mit Blumen von Twilights und niemandem sonst. Das Krematorium war brechend voll, was Ada gefallen hätte, weil viele der älteren Bewohner von Hazy Hassocks, Bagley-cum-Russett und Fiddlesticks zu diesem Anlass erschienen waren.
Die meisten von ihnen hatten Ada wahrscheinlich gar nicht gekannt, ließen aber kaum eine Beerdigung im Ort aus, da derlei als großer gesellschaftlicher Anlass galt und die Gelegenheit bot, alte Freunde wiederzutreffen und anschließend auf anderer Leute Kosten einen Happen zu essen.
Die meisten waren den rückkehrenden Twilight-Minibussen zu Joys Schinken-Schnittchen mit Salat gefolgt, sodass der Speisesaal recht überfüllt war.
»Alles okay, Honey?« Lilith, in langem schwarzem Rock und breitkrempigem schwarzem Strohhut mit hellrosa Rosen als Farbtupfern, trat neben sie. »Bist du sehr traurig?«
Essie schüttelte den Kopf. »Nein, Ada hat ein gutes Leben gehabt, wirklich. Und sie war doch in letzter Zeit sehr schwach gewesen. Der Pfarrer lag mit
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