@ E.R.O.S.
Ergebnisse, alle positiv.«
»Und die jüngeren Mäuse?« fragt Miles.
»Sie begannen sofort rapide zu altern. Aber am faszinierendsten war, daß die alten Mäuse mit transplantierten Zirbeldrüsen ihren neu belebten Zustand fast bis zum Zeitpunkt des Todes beibehielten. Um es einfach auszudrücken, sie alterten nicht. Sie starben einfach.«
In der Küche ist es so still, daß das Zirpen der Grillen draußen wie Gebrüll klingt.
»Wenn das stimmt«, sage ich schließlich, »würden amerikanische Arzneimittelhersteller Melatonin rund um die Uhr erforschen.«
»Woher willst du wissen, daß sie das nicht tun? Vielleicht wiederholen sie diese Experimente im Augenblick schon. Es könnte durchaus sein, daß eine Drüse, die man bis 1963 für verkümmert hielt, der Motor ist, der den menschlichen Alterungsprozeß kontrolliert. Die Anzahl der Leute, die in unserem Land Melatonin nehmen, ist schwindelerregend hoch. Sie ist gleichzeitig erschreckend, denn niemand kennt die Langzeitwirkung. Die Zirbeldrüse beherrscht im Prinzip das endokrine System, Harper. Sie kontrolliert die sexuelle Entwicklung, indem sie andere Hormone reguliert. Sie hat Auswirkungen auf die Körpertemperatur, die Nierenfunktion, das Immunsystem. Sie kontrolliert bei Säugetieren die Hibernation, bei Vögeln die Migration, bei Chamäleons dieVeränderung der Hautfarbe. Das alles war mir völlig neu. Als der Neurobiologe zu fragen anfing, wieso ich mich so sehr dafür interessierte, ließ ich mir eine Ausrede einfallen und sah zu, daß ich Land gewann. Aber da war es mir schon klar.«
Miles legt seine Fingerspitzen zusammen. »Du sagst, der Altersunterschied zwischen den ersten sechs Opfern und Karin Wheat läßt sich durch den Umstand erklären, daß der Mörder die Zirbeldrüse junger Frauen entfernte ...«
»Entnahm«, berichtigt Drewe ihn.
» ... entnahm , um sie zu transplantieren? Hat er die ersten Drüsen in die Tiefkühltruhe gelegt, bis er schließlich soweit war, ältere Frauen zu entführen, um seine Theorie praktisch zu überprüfen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich glaube, die ersten Morde waren Teil seines Ausbildungsprogramms. Noch nie hat jemand eine Transplantation der menschlichen Zirbeldrüse gewagt. Die Zirbeldrüse hat, vom Gewicht der Organe her gesehen, den höchsten Blutdurchfluß außer den Nieren. Eine Transplantation wäre unglaublich schwierig, vielleicht sogar unmöglich. Jede Menge mikrovaskuläre Arbeiten, das Trennen und Verbinden winziger Blutgefäße. Wir sprechen hier über bahnbrechende Neurochirurgie. Wer auch immer so etwas versucht, wird wissen, daß er Erfahrung in der vaskulären Umgebung einer Zirbeldrüse braucht – wahrscheinlich einer so lebendigen Umgebung, wie er sie nur kriegen kann.«
»Deiner Theorie zufolge«, sagt Miles, »ist dieser verrückte Arzt also kurz vor dem Mord an Karin Wheat zu dem Schluß gelangt, daß er nunmehr bereit war, einen Transplantationsversuch zu unternehmen?«
»Karin Wheat ist der Schwachpunkt in meiner Argumentation«, sagt Drewe schnell. »Bei einem Transplantationsversuch braucht der Chirurg seinen Empfänger offensichtlich lebend in einem Operationsraum und nicht tot in New Orleans. Aber ich glaube trotzdem, daß die letzte junge Frau, die vorder Wheat ermordet wurde, die Spenderin sein sollte. Wieviel Zeit ist zwischen ihrem Tod und dem Mord an Karin Wheat verstrichen?«
»Sechs Wochen«, erwidere ich.
Sie seufzt frustriert. »Das ist zu lang. Eine Drüse bleibt auf keinen Fall so lange lebensfähig.«
»O nein«, stöhne ich fast.
»Was ist?« fragt Miles.
»Brahmas primäres Gesprächsthema mit Karin Wheat war die Unsterblichkeit. Das war das Thema ihres letzten Romans. Beide schienen davon besessen zu sein.«
»Ein Punkt für meine Theorie«, sagt Drewe.
»Aber er hat Karin Wheat nicht entführt«, erinnert Miles sie. »Er hat sie ermordet.«
»Aber er hat Rosalind May entführt«, entgegnet sie. »Und die May war fast genau im gleichen Alter wie die Wheat, nicht wahr? Mit fünfzig geht es auf der hormonellen Achterbahn definitiv bergab. Eine perfekte Kandidatin für meine Ausführungen.«
»Vielleicht wollte der Mörder die Wheat entführen«, schlage ich vor. »Aber irgend etwas ging schief.«
»Vielleicht«, gesteht Miles ein. »Sie war das einzige Opfer, das mit einem Medikament im Körper starb. Ketamin. Das ist ein Tranquilizer für Tiere.«
»Dein Techniker hat mich vorgestern abend angerufen. Baxter hat gesagt, die May werde seit zwei Tagen
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