@ E.R.O.S.
sagen, eine Wiederanbringung in situ ist unmöglich. Beschädigtes Gewebe des zentralen Nervensystems wächst nicht mehr nach – das steht fest. Die Zirbeldrüse verfügt über eine Art Stil, durch den alle möglichen chemischen Substanzen fließen. Sobald man diesen Stil durchtrennt, ist es vorbei. Vielleicht könnte er sie in einer Niere oder so parken.«
»In einer Niere?« frage ich.
»Bei den frühen Mäuse-Versuchen haben die Chirurgen die neue Zirbeldrüse im Thymus plaziert, der sich hinter dem Sternum befindet. Sie sind so vorgegangen, weil beide Drüsen mit demselben Nervenzentrum im Gehirn verbunden sind. Und die transplantierte Drüse arbeitete. Aber bei den späteren Transplantationen bei Mäusen wurden die neuen Drüsen nach der Entfernung der alten direkt ins Gehirn eingesetzt. Wie, weiß ich nicht. Und ich wüßte nicht, wie man das bei Menschen bewerkstelligen könnte.«
»Wie lange würde so eine Operation dauern?« fragt Miles.
Drewe spreizt die Hände. »Die Entfernung eines Hypophysentumors dauert zwei oder drei Stunden. Aber das ist eine einfache Exzision von Tumorgewebe. So eine Transplantation würde viel länger dauern.«
»Aber du weißt genau, daß sie bei Mäusen funktioniert hat?«
»Ja. Aber der Unterschied ist dir doch klar, oder? Die Ärzte, die mit Mäusen gearbeitet haben, haben lediglich den Alterungsprozeß studiert. Wer weiß, wieviel Gehirnfunktion sie bei der Transplantation der Drüse zerstört haben?«
Mir kommt ein entsetzlicher Gedanke. »Woher wollen wir wissen, daß Brahma den ersten Opfern nicht die Drüsen entnommenund sie in lebende Empfänger transplantiert hat? Es gibt keinen Grund für die Annahme, daß uns all seine Opfer bekannt sind. Er könnte Frauen von anderen Online-Diensten genommen haben. Oder einfach Obdachlose von der Straße wegholen.«
»Scheiße«, murmelt Miles.
»Und in diesem Fall ist es ihm vielleicht genauso gleichgültig wie diesen Mäuseärzten, welche Gehirnfunktionen er zerstört.«
»O Gott«, flüstert Drewe. »O Gott.«
»Vielleicht lebt Rosalind May noch«, sagt Miles und erhebt sich. »Wie viele Leute wären für eine solche Operation nötig, wie sie dir vorschwebt? Das absolute Minimum, wenn die Beteiligten Mehrfachfunktionen übernehmen.«
»Hmm ... fünf. Zwei Chirurgen, zwei Schwestern und ein Anästhesist.«
»Das kommt mir ziemlich hoch gegriffen vor«, werfe ich ein. »Denke an Operationen auf dem Schlachtfeld. Im Bürgerkrieg. Wenn den Ärzten keine andere Wahl blieb, haben Sie Operationen auch fast ohne jede Hilfe durchgeführt.«
»Na schön, streiche eine Schwester. Aber wir haben es nicht mit Verrückten zu tun, die auf jede Betäubung verzichten und mit einem Küchenmesser schneiden und es ein Wunder nennen und high werden, weil sie es versucht haben. Wir sprechen hier von einer Transplantation. Von einer Drüsentransplantation im Zentrum des Gehirns. Man hat so etwas noch nie versucht. Wenn überhaupt, wäre eher mehr Personal als weniger erforderlich. Und ein hochmoderner OP. Man braucht ein Operationsmikroskop, ein C-Arm-Fluoroskop, alle möglichen Instrumente. Vielleicht müssen die Chirurgen sich auch abwechseln. Manche neurochirurgischen Operationen dauern über zwölf Stunden.«
»Selbst wenn er Chirurg ist«, sagt Miles, »bräuchte er also fachkundige Hilfe, ausgebildetes Personal. Wir sprechen hier von einer Menge Geld. Das größte Hindernis könnte vielleicht sogar das Geld sein.«
Ich will Einwände erheben, aber er hebt abwehrend die Hand. »Ich pflichte dir bei, daß Drewes Annahme von fünf Personen hoch gegriffen ist. Wir sprechen hier von jemandem, der Zugang zu hochmoderner Spracherkennungs-Technik hat.« Miles erklärt Drewe schnell seine Theorie, wieso Strobekker absolut fehlerfrei tippen kann. »Wer will also behaupten, daß er keinen Zugang zu computerunterstützten modernsten chirurgischen Instrumenten hat, oder was er sonst braucht? Ich habe Prototypen von ein paar medizinischen Geräten gesehen, die einfach unglaublich sind. Ich meine, wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben. Es könnte der Chef der Neurochirurgie eines bedeutenden Universitätskrankenhauses sein.«
»Unmöglich«, widerspricht Drewe.
»Wer hat die beste neurochirurgische Abteilung auf der Welt?« frage ich.
»Die Columbia«, sagt sie ohne das geringste Zögern.
»Wer ist sonst noch gut?«
»Nicht die, von denen du es vielleicht annimmst. Die Universitäten von Washington, Michigan, das Barrow Institute in
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