@ E.R.O.S.
beiden Frauen, die in Kalifornien gestorben sind, wurden miteinander in Verbindung gebracht, weil ein Pathologe aus San Francisco bei einer Tagung zufällig mit einem Kollegen über einen ungelösten Mordfall sprach. Eine Frau war erdrosselt worden; dann hat man ihr beide Augen entfernt und Holzpfähle durch die Höhlen getrieben. Als der Pathologe das Gehirn sezierte, stellte er fest, daß die Spitzen beider Pfähle in den dritten Gehirnventrikel eingedrungen waren – ein wenig zu perfekt für seinen Geschmack. Noch seltsamer war, wie er dann herausfand, daß ein Teil der Zirbeldrüse fehlte, was durch den Pfahleinsatz nicht zu erklären war. Der Kollege, der das hörte – ein Pathologe aus Los Angeles – hatte einen nicht aufgeklärten Mordfall, der in fast jeder Hinsicht völlig anders gelagert war. Eine Frau war mit einem Splitthammer totgeschlagen worden, wahrscheinlich von jemandem, den sie kannte. Ihr Gehirn hatte schreckliche Verletzungen davongetragen. Aber das erklärte nicht, warum ein Großteil ihrer Zirbeldrüse verschwunden war. Dieses zufälligeGespräch hat die beiden Verbrechen schließlich miteinander in Verbindung gebracht. Dann aber geriet die Polizei prompt auf die falsche Spur und kam zu dem Schluß, sie hätten es mit Ritualmorden zu tun.«
Der Tonfall, mit dem Lenz das Wort »Polizei« ausspricht, verschafft ihm in diesem Raum nur wenige Freunde. Er richtet seinen Zeigefinger auf mich.
»Sie haben diese beiden Opfer durch EROS in Verbindung mit vier anderen gebracht. Alle vier dieser Frauen sind an schweren Kopfverletzungen gestorben oder haben postmortale Kopftraumata erlitten: ein Pistolenschuß, einer mit der Schrotflinte, ein tödlicher Sturz. Eine wurde enthauptet, wie auch Karin Wheat. Wir exhumieren die ersten drei und nehmen noch einmal Autopsien der Köpfe vor. Ich habe den starken Verdacht, daß wir, falls der Zustand der Gehirne es zuläßt, feststellen werden, daß diesen Frauen die ganze oder ein Teil der Zirbeldrüse fehlt.«
Der Psychiater starrt mich an, als erwarte er von mir, daß ich seine Wissenslücken ausfülle.
»Verdammt, was für einen Zweck hat die Zirbeldrüse?« frage ich.
Während Lenz und Baxter mich stumm mustern, verrät mein Überlebensinstinkt mir, daß ich jetzt endgültig feststellen muß, ob die Gittertür des Käfigs schon zugeschlagen wurde. Ich richte meine Worte an Chief Tobin. »Hören Sie«, sage ich, »ich glaube, Sie sprechen jetzt über Dinge, bei denen ich nicht mitreden kann. Kann ich jetzt nach Hause gehen?«
»Noch nicht«, sagt Tobin. »Geben die Leute bei diesem Sex-Netzwerk auch ihre richtigen Namen an?«
Ich versuche, das Gefühl zu unterdrücken, daß ich die Nacht in einem Hotel in New Orleans verbringen werde, wenn nicht sogar im Gefängnis. »Fast nie. Die Kodenamen geben ihnen die Freiheit, zu sagen und zu sein, was immer sie möchten. Sie tauschen vielleicht ihre Telefonnummern aus, um ein f2f zu vereinbaren, aber ...«
»Was ist ein f2f?« fragt der Chief.
»Die Abkürzung für ›face to face‹, ein persönliches Treffen.«
»Ach so. Dann haben die Opfer ihm die Nummern gegeben?«
»Nicht bei Gesprächen, die ich ausgedruckt habe.«
»Und was glauben Sie, wie er ihre Namen herausbekommen hat?«
»Ich glaube, er hat sich irgendwie Zugriff auf unser Buchhaltungssystem verschafft. Im Verwaltungscomputer der Firma gibt es eine Hauptliste der Kunden mit Kontonummern, Adressen, einfach allem. Da habe ich mir Strobekkers Namen besorgt.«
»Wer hat Zugriff auf diese Liste?« fragt Baxter.
»Ich, Miles Turner, Jan Krislov. Vielleicht ein paar Techniker. Mehr nicht. Der Computer erstellt die Rechnungen automatisch. Es ist ein ziemlich hochentwickeltes System.«
»Wer ist Miles Turner?« fragt Lenz.
»Der Haupt-Sysop. Wir sind zusammen in Mississippi aufgewachsen, aber er lebt jetzt in New York. Er hat mir diesen Job aufgeschwatzt.«
»Also glauben Sie, der Killer hat sich in die Buchhaltungsdateien gehackt?« fragt Baxter.
»Keine Ahnung. Miles meint, das sei unmöglich, die Liste sei besser geschützt als die Abschußkodes von Atomraketen, aber so wie ich das sehe, ist das die einzige Möglichkeit, wie der Mörder an die Namen herangekommen sein kann. Er muß diese Kundenhauptliste mindestens einmal gesehen haben. Vielleicht hat er sie ausgedruckt.«
»Das ist nicht die einzige Möglichkeit«, wirft Mayeux’ Partner ein. »Sie oder dieser Miles hätten die Liste jemandem geben können. Oder auch verkaufen .«
Ich
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