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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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konnte.
    Die Tür zum Hauswirtschaftsraum stand offen wie so oft. Sie gingen hinein und stellten ihre Putzsachen ab. Der Raum sah noch genau so aus, wie Sally ihn verlassen hatte. Vielleicht entstanden schon die ersten Spinnweben und wuchsen an den verschnörkelten Wandlampen, vielleicht legte sich schon Staub auf die Flächen, auf die Computer und riesigen Fernseher, aber alles sah noch genau so aus, wie es gewesen war. Die Champagnergläser standen noch auf dem Tisch, wo David und Jake gesessen und getrunken hatten.
    »Keine Liste.« Danuta hob ein paar Zeitungen hoch und schaute darunter. »Verdammt, du dicker Mann, du hast keine Liste dagelassen.«
    »Dum-di-dum-di-dah«, summte Marysien´ka. Sie ging zur Tür und rief in den Flur hinaus: »Mr. Goldrab?«
    Stille.
    »Mr. Goldrab?« Sie ging bis zur Treppe, zog ihre Gummihandschuhe an und schaute zur Galerie hinauf. »Sind Sie da?« Sie wartete einen Moment, und als sie keine Antwort bekam, kehrte sie achselzuckend in die Küche zurück. »Ist nicht hier.«
    Sie knipste die Kaffeemaschine an, öffnete den Kühlschrank, nahm eine Flasche Milch heraus und füllte den Aufschäumer, während Danuta nach Tassen suchte. Sally stellte ihre Tasche ab, zog demonstrativ ihre Sachen heraus und bereitete sich auf einen Job vor, zu dem es nicht mehr kommen würde. Sie konzentrierte sich angestrengt darauf, es natürlich aussehen zu lassen, und merkte erst nach einer Weile, dass die beiden Mädels still geworden waren. Sie hatten aufgehört mit dem, was sie gerade taten, und standen wie erstarrt mit Milchflasche und Kaffeetassen in den Händen da, den Blick zur Tür gewandt.
    Als Sally sich umdrehte, sah sie, warum. Eine Frau stand in der Tür, sehr groß und in Jeans, und hielt einen Polizeiausweis in der ausgestreckten Hand. Sally starrte sie an, und ihr Herz schlug einen verwirrenden Salto in ihrer Brust.
    Einen Moment lang war es still. Dann ließ die Frau den Dienstausweis sinken und runzelte die Stirn. »Sally?«, fragte sie. »Sally?«

9
    »Sally Cassidy.« Zoë notierte sich den Namen. Die beiden Polinnen hatte sie befragt und gehen lassen. Jetzt saßen sie und Sally in ihrem Büro, und die Tür war geschlossen. »Ich benutze deinen Ehenamen.«
    »Ich bin nicht mehr verheiratet.«
    »Nein.« Zoë hob den Kopf und musterte sie. Sally saß mit den Händen im Schoß vor dem Schreibtisch. Sie hatte sich das Haar nach hinten gebunden, trug kein Make-up und hatte eine kleine, pinkfarbene Schürze mit dem »HomeMaids«-Logo an. Vor ihr stand eine Flasche Lucozade; eins der polnischen Mädels hatte ihr den Energydrink gegen den Schock gegeben, denn Sally hatte David Goldrabs Verschwinden nicht gut verkraftet. Sie war blass unter den Sommersprossen, und ihre Lippen hatten einen bläulichen Schimmer. »Ich benutze ihn trotzdem. Ich dürfte dich nämlich nicht befragen, wenn es klar ist, dass du meine Schwester bist.«
    »Okay. Das verstehe ich.«
    Zoë zog einen Strich unter den Namen. Dann noch einen. Das alles war unheimlich. Total unheimlich. »Sally«, sagte sie. »Wie lange ist es jetzt her?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Jahre. Muss ja.«
    »Muss wohl.«
    »Ja. Schön.« Sie klopfte mit dem Stift auf den Schreibtisch. »Das hier braucht nicht den ganzen Tag zu dauern. Ich stelle dir dieselben Fragen, die ich Danuta und Marysien´ka gestellt habe. Danach kannst du gehen.«
    »Meine Antworten werden aber nicht dieselben sein.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich privat für David gearbeitet habe. Wir hatten ein Arrangement.«
    »Ein Arrangement?«
    »Ich hab’s den Mädels nicht gesagt, und ich hab’s der Agentur nicht gesagt, aber – ja. Ich habe für ihn gearbeitet, und er hat mich direkt bezahlt.«
    »Die Mädels haben ausgesagt, er habe ihre Arbeitsstunden gerade gekürzt und den Tag geändert?«
    »Ja, weil ich angefangen habe, für ihn zu arbeiten.« Sally legte die Hände auf den Tisch und verschränkte die Finger. »Er brauchte sie nicht.«
    Zoës Blick richtete sich auf Sallys Hände, auf den kleinen Finger an der Rechten, der krumm war. Man musste davon wissen, um es zu sehen: Es war ein winziger Knick im Gelenk, der den Finger auf sich selbst zurückbog. Sie riss den Blick davon los und konzentrierte sich auf ihre Notizen. Es wäre so einfach, zu der Hand zurückzukehren, zu dem Unfall und dem Augenblick, in dem ihr Leben sich geändert hatte. Sie klopfte mit dem Kugelschreiber lauter auf den Schreibtisch. Eins, zwei, drei. Zwang sich, zu der Befragung

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