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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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freigenommen, und Steve hatte seinen Flug nach Seattle verschoben. Anscheinend hatten sie beide keine Energie für irgendetwas.
    Ein Reh tauchte draußen auf; es schob die Nase durch die Hecke am unteren Ende des Gartens, und seine Umrisse waren schemenhaft verschwommen im Morgennebel. Sally und Steve rührten sich nicht, aber vielleicht spürte es, dass sie da waren – oder es witterte die Spuren von David Goldrab, reduziert auf acht verknotete, prallvolle Plastiktüten, denn ganz unvermittelt schrak es auf, drehte sich um und starrte direkt zum Fenster herauf, und dann sprang es davon.
    Sally stand auf und ging zur Anrichte. Sie holte einen kleinen Schlüssel aus der Tasche, schloss eine Schublade auf und nahm eine Blechdose heraus, die sie öffnete und zum Tisch brachte. Sie enthielt eine bunte Sammlung von Gegenständen: ein paar Fotos, David Goldrabs Siegelring mit den vier Diamanten und dem Smaragd – ein Diamant für jede Million, die er gemacht hatte, und der Smaragd, als er die fünf Millionen überschritten hatte –, sein Schlüsselbund, der von elektronischen Schlüsseln starrte, zwei massiv goldene Würfel, die am Schlüsselring hingen, und fünf Zähne. Steve hatte die markantesten ausgesucht, die auch auf den Fotos am deutlichsten zu sehen waren: zwei Schneidezähne mit weißen Keramikfüllungen und drei Backenzähne mit Goldkronen. Die feinen, spitzen Wurzeln waren stumpfbraun von Blut. »Ich kann diese Sachen nicht länger hierbehalten. Mit Millie im Haus kann man nie wissen.«
    »Ich finde ein Versteck dafür. Ein sicheres Versteck.«
    »Werden wir … es durchziehen? Du weißt schon, mit«, sie biss sich auf die Zunge. Fast hätte sie gesagt, mit Mooney. »Mit den Leuten in London?«
    »Die treffe ich morgen. Dann wird alles geregelt.« Er schaute auf das Datum an seiner Armbanduhr. »Ich hätte heute aus Amerika zurückkommen sollen.«
    »Ich weiß.«
    »Die Reise werde ich immer noch machen müssen, und zwar bald. Ich kann sie nicht noch einmal verschieben. Ich muss mein Leben weiterführen. Das müssen wir beide. Wir müssen so tun, als wäre es nie passiert.«
    »Ja.« Sally nickte. »Das weiß ich selbst. Es ist okay.« Sie strich sich das Haar zurück, stand auf und legte die HomeMaids-Schürze um. Als David sie engagiert hatte, hatte er die Agentur gebeten, die Arbeitstage für sie und die Polinnen neu einzuteilen. Heute war der Tag, an dem sie für die Agentur dort putzte. In den Nachrichten war David Goldrab nicht erwähnt worden, und deshalb war klar, dass sie mit nach Lightpil House fahren musste, als wäre nichts passiert. Wenn sie absagte oder sich ungewöhnlich benähme, würde die Polizei zwangsläufig auf sie aufmerksam werden. Der blaue Fleck an ihrer Wange, wo David sie gegen den Kofferraumdeckel gestoßen hatte, war schon verschwunden. Sie hatte wirklich keine Ausrede. »Flieg ruhig nach Amerika. Ich komme zurecht.«
    »Sally?«
    Sie blickte auf. »Ja?«
    »Du weißt, dass alles gut gehen wird, ja?« Im Morgenlicht sah Steves Gesicht älter aus. Mit seinen Bartstoppeln wirkte er, als habe er viele Jahre lang ein hartes Leben geführt. »Ja?«
    »Wirklich?«
    »Du hast aus einer schlimmen Situation das Beste gemacht. Und es wird keine göttliche Vergeltung dafür geben. Du wirst nicht bestraft werden. Glaubst du mir das?«
    Sie schloss die Augen und öffnete sie langsam wieder. »Vielleicht«, sagte sie. »Vielleicht.«

7
    Als Lightpil House in Sicht kam, wusste Zoë im selben Moment, dass Jacqui recht gehabt hatte: Irgendwann hatte sich etwas im Leben des Londoner Jungen, der in den neunziger Jahren ins West Country gekommen war, nachhaltig geändert. Das Haus hinter der Mauer sah fast aus wie ein mediterraner Palast mit seinen weißen Wänden und der von einer Balustrade umgebenen Terrasse, die von der Sonne beschienen wurde. David Goldrab musste bei der Planungsbehörde von Bath jemanden entdeckt haben, der auf seiner Porno-Versandliste stand, denn sonst wäre der Bauantrag für Lightpil House niemals durchgekommen. Das Haus war entsetzlich. Wahrhaft entsetzlich.
    Etwa zwanzig Meter vor dem Tor bremste sie ab, lenkte den Mondeo in eine kleine Parkbucht und betrachtete sich im Spiegel der Sonnenblende. Wenn er zu Hause war, würde er sie nach all den Jahren niemals erkennen. Aber vielleicht würde er sich an den Namen Zoë Benedict erinnern. Sie hatte ihren Dienstausweis in der Tasche, doch sie besaß noch einen zweiten auf den Namen Evie Nichols, den sie vor Jahren auf einer

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