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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Dad haben immer gesagt, du bist von uns beiden die Schöne.«
    Es war still. Dann brach Zoë in Tränen aus. Sie drückte sich den Waschlappen ans Gesicht, beugte sich vor und atmete krampfhaft. Ihre Schultern zuckten und zitterten. Sally setzte sich auf den Wannenrand, legte ihrer Schwester eine Hand auf den nackten Rücken und schaute die Wirbelknochen an, die weiß und spitz durch die Haut stachen. Sie wartete darauf, dass die Zuckungen nachließen und das furchtbare, quälende Schluchzen aufhörte.
    »Jetzt ist es okay. Es ist okay.«
    »Ich bin vergewaltigt worden, Sally. Vergewaltigt.«
    Sally holte tief Luft, hielt den Atem an und atmete schließlich wieder aus. »Okay«, sagte sie. »Erzähl’s mir.«
    »Der Mann, der Lorne Wood ermordet hat. Er hat mich vergewaltigt – und ich bin abgehauen. Eigentlich sollte ich tot sein.«
    »Der Mann, der Lorne ermordet hat? Aber ich dachte, Ralph Hernan …«
    Zoë schüttelte den Kopf. »Der war es nicht.«
    Sally blieb einen Moment lang bewegungslos sitzen. Dann griff sie nach dem Handtuch. »Du solltest nicht baden. Komm raus. Du musst untersucht werden.«
    »Nein.« Zoë zog die Knie unters Kinn und umschlang sie mit beiden Armen. »Nein, Sally. Ich gehe nicht zur Polizei.«
    »Du musst.«
    »Ich kann nicht. Ich kann nicht.« Sie legte die Stirn auf ihre Knie und fing wieder an zu weinen und den Kopf zu schütteln. »Du glaubst, ich war mein Leben lang stark und unabhängig, ja? Aber du irrst dich. Ich war dumm. Als ich von der Schule abging, war ich dumm. Und das ganze Geld, das ich hatte, um durch die Welt zu reisen? Ich hab Mum und Dad erzählt, eine Illustrierte, für die ich arbeitete, bezahlte mich dafür.«
    »Die Reisezeitschrift.«
    »Mein Gott – die hat es nie gegeben. Ich hatte das Geld damit verdient, dass ich dumme Sachen machte.«
    »Dumme Sachen«, wiederholte Sally mit hohler Stimme. Sie dachte daran, wie Millie sich ihr Geld besorgt hatte: von Jake. Das war dumm gewesen. »Was für dumme Sachen?«
    »In Nightclubs. Du kennst das. Die Sorte Läden, in denen David Goldrab sich rumtreiben würde. Es war das Dümmste, was ich je getan habe, und ich bereue es. O mein Gott.« Sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken weg und vermied es, dabei ihre Nase zu berühren. »Ich hab es den Rest meines Lebens bereut. Den Rest meines Lebens .«
    »Du hast dich ausgezogen? Striptease? Oder Pole-Dancing oder so was?«
    Zoë nickte kläglich.
    Sally runzelte die Stirn. »Aber das ist doch – gar nichts. Ich dachte, du meinst was wirklich Ernstes.«
    Zoë hob verwirrt das tränennasse Gesicht. Sally spreizte verlegen die Hände. »Na ja, ich kann mir jedenfalls was Schlimmeres vorstellen. Es ist bloß …« Sie stockte. » Du? Das kommt mir so …«
    »Ich musste schnell Geld verdienen. Ich musste schleunigst aus dem Haus – du weißt, warum.«
    »Aber so etwas tut man, wenn man …« Sally suchte nach den richtigen Worten. »Na ja, wenn man sich selbst nicht besonders mag.«
    Einen Herzschlag lang war es still. Zoës Gesicht war erstarrt. Und Sally begriff.
    »Aber Zoë – wie konntest du? Ich meine … du bist schön und mutig, und du bist clever. So clever .«
    »Bitte sag das nicht dauernd.«
    »Es stimmt doch.«
    »Na, im Moment bin ich nicht besonders clever, oder? Ich bin vergewaltigt worden, und ich kann nichts dagegen unternehmen.«
    »Kannst du doch. Wir werden es anzeigen.«
    »Nein! Das kann ich nicht . Ich kann dieses Schwein nicht anzeigen, weil …« Sie schüttelte den Kopf. »Er kennt mich, der Kerl. Aus einem der Clubs – er hat da gearbeitet, als Hausmeister. Ich habe Gänsehaut gekriegt, wenn ich gesehen habe, wie er mich immer beobachtete. Er würde es zu seiner Verteidigung verwenden. Ich würde in den Zeugenstand gerufen werden, und sein beschissener Anwalt würde alle Welt darauf hinweisen, dass ich früher …« Wütend wischte sie sich über die Augen. »Ich kann es ihnen nicht erzählen. Ich kann überhaupt nichts sagen.«
    Sally klopfte nachdenklich mit den Fingernägeln an ihre Schneidezähne. »Es muss doch eine Möglichkeit geben. Wer ist es denn?«
    »Du kennst ihn. Du wirst dich nicht an ihn erinnern, aber wir waren zusammen im Kindergarten. Ist das zu fassen? Kelvin Burford. Er …«
    Sie brach ab. Sally hatte sich vorgebeugt und starrte sie mit offenem Mund an. »Du machst doch keine Witze, oder?«
    »Natürlich nicht – was hast du denn?«
    »Du lieber Gott.« Sally stand auf. »Du lieber Gott. Kelvin? «
    »Ja.

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