Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Lornes Sachen sind da bestimmt nicht mehr drin. Und meine auch nicht.«
Sally nagte an der Unterlippe, beugte sich vor und ließ den Blick unruhig über die Szenerie wandern. Ein Apfelbaum am Ende von David Goldrabs Garten hatte seine Blüten verloren; die Blätter waren in schmutzig weißen Wolken über den Weg geweht und bildeten verschlungene Muster um Kelvins halbverfallene Garage. Die Sache gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht. Als er hier gewesen war, hier im Cottage, war ihre Angst wenigstens auf einen Ort beschränkt gewesen. Jetzt war sie überall – irgendwo da draußen. Wie ein freigesetztes Virus im Wind.
»Aber was ist mit den Fotos? Wenn er Beweismaterial gegen mich hat – Fotos oder sonst etwas –, das könnte doch immer noch da sein.«
»Ich schwöre dir, da ist nichts dergleichen in diesem Haus. Ich habe es durchsucht. Da waren Bilder … aber nicht von dir. Überhaupt, wie hätte er das so schnell anstellen sollen? Er hätte ein Teleobjektiv gebraucht.«
»Bist du sicher?«
»Ich bin sicher. Ehrenwort.«
Sally rieb sich die Gänsehaut an ihren Unterarmen. »Also Plan B?«
»Plan B, genau. Wir müssen nur noch ein paar Kleinigkeiten erledigen. Komm, lass uns beeilen.«
Sie stieg aus, setzte sich in ihren Mondeo und startete den Motor. Sally folgte ihr mit dem Ka, und sie fuhren langsam zum Cottage hinunter. Oben in der Zufahrt parkten sie. Sie ließen die Türen offen und die Schlüssel im Schloss; wenn Kelvin doch wiederauftauchen sollte, könnte er nicht beide Autos auf einmal nehmen, und sie hätten ein paar kostbare Sekunden Zeit, mit dem anderen zu flüchten. So oder so – Zoë war sicher, dass er sich nicht mehr blicken lassen würde. Jedenfalls nicht hier.
Sie spazierten um das Haus herum und suchten nach einem Zugang. Aber er hatte schnell gearbeitet, und nach Zoës Flucht hatte er alles mit Vorhängeschlössern gesichert. Sally hatte noch nie so viele Schlösser gesehen. Ein paar der Fenster hatte er zugenagelt, Haustür und Hintertür waren mit Brettern verrammelt, die Balkontür im ersten Stock ebenfalls. Sie fanden eine Garage, die bisher keiner von ihnen aufgefallen war. Zoë behauptete, Kelvin fahre einen Land Rover; sie hatte auf dem Revier angerufen und einen Zettel mit seinem Kennzeichen in der Tasche. Aber der Wagen war nicht da. Da war nur ein Ölfleck auf dem Boden, und draußen im Lehm waren Reifenspuren.
Zoë blieb vor dem Mühlenschuppen stehen, ging in die Hocke und zog an der verrosteten Kette, die durch das Gitter vor einem Loch geschlungen war. Sie zerrte an dem Vorhängeschloss, und es öffnete sich knirschend. »Zieh du dein Ding durch«, befahl sie Sally. Sie zog die Kette aus dem Gitter, hob es hoch und legte es zur Seite. »Ich sehe mich da unten um.«
Sie duckte sich, stieg in das Loch und verschwand. Sally sah ihr nach, und dann schaute sie sich in der Stille um, zog die Gummihandschuhe an, die Zoë ihr gegeben hatte, und fing an, mit der Forke, die sie mitgebracht hatten, zu graben. Der Boden war weich, wenn auch ein bisschen steinig, und bald hatte sie eine gelbliche Narbe aufgerissen. Sie wühlte die Blechdose aus der Tasche ihres Dufflecoats. Mit zitternden Fingern nahm sie den Deckel ab und kippte den Inhalt aus. Die Zähne hier zu vergraben war Zoës Vorschlag gewesen – eine ironische Wendung in Anbetracht dessen, dass Sally es am Vormittag nicht getan hatte, weil sie geglaubt hatte, Zoë würde etwas Besseres einfallen. Jetzt, da sie von den Vergewaltigungen wusste, hatte sie es sich anders überlegt. Kelvin hatte keine Fairness verdient. Zoë hatte nicht gefragt, woher Sally die Nerven gehabt hatte, David die Zähne zu ziehen, und wie sie es angestellt hatte, die Leiche ganz allein zu beseitigen. Oder ob da noch jemand im Spiel gewesen war. Aber Sally hatte das Gefühl, dass sie Bescheid wusste.
Sie pflügte mit dem Finger zwischen den Zähnen umher, damit sie sich ein bisschen mit der Erde vermischten. Dann schaufelte sie das Loch zu und deckte die Grassoden, die sie ausgestochen hatte, nachlässig wieder darüber. Beim Anblick dieser menschlichen Zähne mit ihren Füllungen und verletzlichen Wurzeln hatte sie nichts empfunden. Absolut nichts. Du bist ein Monstrum, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Du bist zu einem Monstrum geworden.
»Leer.« Zoë stieg gebückt aus dem Loch und strich sich Spinnweben vom Kopf. »Nichts. Ein alter Eiskeller.« Sie rasselte mit dem Vorhängeschloss, öffnete und schloss es ein paar Mal. »Ich weiß nicht,
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