Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Haarspangen und Haargummis. Zoe trat an eine kleine bunte Kommode und spähte in die oberste Schublade. Noch mehr Unterwäsche. Ein Stapel roter Gymkhana-Rosetten. Vielleicht hatte Lorne sie nicht wegwerfen dürfen; also hatte sie das Nächstbeste getan und sie irgendwo aufbewahrt, wo sie nicht mehr zu sehen waren.
Nicht mehr zu sehen …
Sie richtete sich auf und sah sich um. Als Lorne verschwunden war, war der diensthabende Officer mit einem Unterstützungsteam hier gewesen und hatte nach Hinweisen gesucht. Zoë hatte seine Notizen gelesen, und viel hatte nicht dringestanden. Aber bei einem Mädchen wie Lorne? Spannungen zwischen ihr und ihrer Mutter? Es musste etwas geben, das der Diensthabende übersehen hatte. Sie setzte sich auf das Bett, legte die Hände in den Schoß und versuchte, das Gefühl heraufzubeschwören, das sie vorhin schon einmal gehabt hatte, diese plötzliche, bebende Verbindung mit ihrem eigenen Teenager-Ich. Wenn dies ihr Zimmer gewesen wäre, wo hätte sie dann etwas versteckt?
Im Internat waren die Schlafräume klein gewesen. Sie hatten Viererzimmer gehabt, eine Wand war von einem Schrank ausgefüllt gewesen, und jedes Mädchen hatte einen Teil davon für Kleidung benutzen dürfen. Außerdem hatte jede einen kleinen Nachttisch gehabt. Nicht viel Platz, um etwas zu verstecken, das die andern nicht sehen sollten. Doch Zoë hatte eine Möglichkeit gefunden. Ihr Blick richtete sich auf Lornes Nachttisch, auf dem sich Zeitschriften stapelten. Sie rutschte vom Bett, legte sich auf den Boden und schob eine Hand unter den Nachttisch. Aber sie fühlte nur das glatte Holz der Unterseite. Sie stand auf, ging zum Schreibtisch und untersuchte ihn auf die gleiche Weise. Nichts. Dann nahm sie sich den Kleiderschrank vor. Als sie hier mit den Fingern an der Unterseite entlangtastete, fühlte sie einen festen, blockförmigen Gegenstand in einem Plastikbeutel, der dort mit Klebstreifen befestigt war.
Sie schälte den Klebstreifen ab, nahm das Päckchen herunter und setzte sich damit auf das Bett. Der Plastikbeutel enthielt ein kleines Buch mit einem herzförmigen Schloss, in dem ein Schlüssel steckte. Auf der Vorderseite standen die handgeschriebenen Worte: »Mum, wenn du das gefunden hast, kann ich nicht verhindern, dass du es liest. Aber vergiss nicht, dass du damit mein Vertrauen verletzt.« Zoë lächelte angesichts der allzu menschlichen Reaktion, die Lorne da zeigte. Menschlicher als Pippa da unten, die immer noch damit haderte, dass ihre Tochter sich kein bisschen für Pferde interessierte.
Zoë öffnete das Buch und blätterte darin. Lorne hatte die Seiten mit ausgeschnittenen Papierblumen und kleinen Stickern beklebt, die aussahen wie Augen, die mit den Lidern klapperten, wenn man sie bewegte. Die meisten der frühen Daten waren frei von Eintragungen, aber in den letzten paar Wochen hatte Lorne sich anscheinend zu einer eingefleischten Schreiberin entwickelt. Jede Seite war randvoll mit Notizen in einem winzigen, kaum lesbaren Gekritzel. Zoë nahm die Lesebrille aus der Brusttasche ihres Hemdes, ging mit dem Buch zum Fenster, wo das Licht besser war, und fing an zu lesen.
Das meiste drehte sich um die üblichen Teenager-Komplexe. Jeden Tag hatte Lorne ihr Gewicht und die Kalorien notiert, die sie zu sich genommen hatte, und dann folgten lange, manchmal verzweifelte Kommentare darüber, wie ihre Haare aussahen und wie fett sie wurde. Sie machte Pläne für das, was sie am Wochenende essen würde. Zoë hatte Untersuchungen gelesen, aus denen hervorging, dass mindestens siebzig Prozent aller weiblichen Teenager immer auf Diät waren. Auch sie hatte sich als Heranwachsende wegen ihrer schlaksigen Gestalt als Bohnenstange beschimpfen lassen müssen. Aber sich den Kopf zu zerbrechen über jeden Bissen, den man zu sich nahm? Was für ein Höllenleben war denn das?
Mehr als einmal tauchten die Initialen »RH« auf.
14. April. Habe RH gesehen. Er ist megacool mit diesem breiten Schlips. Christina sagt, er steht auf mich. Ich weiß nicht. Hab meinen blauen »Hard Candy«-Lidschatten getragen. Total geil!
RH hat sich mit dem Mädchen aus der Sechsten unterhalten, die angeblich ein Apartment in New York hat. Nela sagt, sie heißt Mathilda. Ich dachte, Tillie, aber das ist vielleicht bloß die Abkürzung davon. Ganz hübsch mit ihren blonden Haaren, dafür hat sie echt fette Waden. Sie sollte keine Leggings anziehen. Igitt.
War nach der Schule bei Katinka’s und hab mir was zum Haarefärben gekauft.
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