Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Fenster und sah die wedelförmigen Zweige einer Weißbirke, die sich sacht vor dem blauen Himmel bewegten. Die Zeit lief. Dreißig Sekunden. Eine Minute. Sie stand auf und schob die Speicherkarte in die hintere Jeanstasche. »Sorry, Lorne«, sagte sie leise. »Aber ich bin nicht sicher. Noch nicht.«
16
Unten saß Pippa mit dem Familienbetreuer im Wintergarten. Sie hatte einen aufgeschlagenen Terminkalender auf dem Schoß und ging anscheinend ihre Pläne für den nächsten Monat durch. Vielleicht sprachen sie über die Beerdigung, die anstehenden Pressekonferenzen. Draußen war Mr. Wood immer noch dabei, den Baum niederzumetzeln. Als Pippa hörte, dass Zoë herunterkam, hörte sie auf zu reden. Sie klappte den Terminkalender zu und kam in den Flur. »Alles erledigt?«
»Nur noch eine oder zwei Fragen.«
»Schon okay. Ich will ja helfen.«
»Hatte Lorne einen großen Freundeskreis?«
»Einen großen Freundeskreis? O Gott, ja. Ich konnte gar nicht Schritt halten. Von dem Augenblick an, als sie fünfzehn wurde und von mir ein Telefon und die Hausschlüssel bekam, hat sie in einem fort Leute hier angeschleppt. Sie sind ein Alptraum, diese Teenager, ein absoluter Alptraum. Manchmal kriecht man am liebsten unter einen …« Sie brach ab, als habe ihr soeben gedämmert, dass es nie wieder einen Teenager geben würde, der ihr das Leben zur Hölle machte. »Tja, hm …« Sie rieb sich krampfhaft die Unterarme und warf einen Blick zurück in die Küche. »Ja. Jedenfalls – möchten Sie noch einen Kaffee?«
»Schon okay«, sagte Zoë sanft. »Ich hatte genug, um mich zum Mond und wieder zurück zu jagen. Aber darf ich Sie noch etwas zu Lornes Freunden fragen? Waren es hauptsächlich Mitschüler?«
»Nein.« Pippa schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Sie kamen von überall her. Sie hat immer mit irgendwelchen Leuten geredet. Und ich nehme an, so wie sie aussah … gab es jede Menge Jungen, die ihr nachstellten. Ich weiß nicht, woher sie das hat. Von mir ganz sicher nicht.«
»Aber keinen speziellen Freund?«
»Nein.«
»Darf ich Ihnen die wichtigste Frage von allen stellen?«
»Was? Ob sie Jungfrau war? Ist es das?«
»Jemand wird Sie irgendwann danach fragen. Sie sitzt ja nicht auf der Anklagebank. Aber wir müssen uns ein besseres Bild von ihr machen.«
»Ja, ich weiß schon. Er hat es mir schon gesagt …« Sie sah sich nach dem Familienbetreuer um, der auf seinen Laptop starrte. »Ich weiß, dass es eine wichtige Frage ist. Er hat gesagt, es würde … es könnte von Bedeutung sein.« Sie legte einen Finger an die Stirn und ließ ihn dort, als müsste sie sich angestrengt auf etwas konzentrieren. Auf ihr Gleichgewicht zum Beispiel. »Ich weiß es nicht. Das ist die reine Wahrheit. Wenn ich wetten sollte, würde ich sagen, nein. Aber das erzählen Sie bitte niemandem. Ich möchte nicht, dass die Leute über mich tratschen.«
»Sie erinnern sich an niemanden mit den Initialen ›RH‹, oder?«
»Nein. Sagt mir nichts. Warum?«
»Nur so. Und der Name Zeb Juice? Sagt Ihnen der etwas?«
Pippa seufzte entnervt. »Ja, leider. Zebedee Juice. Das ist eine Agentur in der George Street.«
»Eine Agentur?«
»Für Models. Ich hab’s ja gesagt – Lorne sah sich schon als die nächste Kate Moss. Deshalb war ich so besorgt, als die Agentur sie einlud. Sehr besorgt. Wie Sie sich vorstellen können.«
»Mit welcher Sorte Models sind sie befasst?«
»Mit welcher Sorte? Na ja – ich weiß es nicht. Mit der üblichen natürlich. Modekram. Laufstegarbeit.«
Also nicht die Sorte Models, die sie auf den Fotos gesehen hatte. Zoë fühlte sich besser, als sie das hörte. »Und was ist passiert – als sie bei der Agentur war?«
»Sie haben ihr gesagt, sie sei nicht groß genug. Sie waren nicht interessiert, Gott sei Dank.«
»Sie waren froh?«
»Selbstverständlich war ich froh.« Pippa klang ein bisschen gereizt. »Welche Mutter wäre es nicht gewesen? Es war ein lächerlicher Traum.«
Darauf antwortete Zoë nicht. Draußen vor dem Wintergarten waren vier Elstern auf dem Rasen gelandet; sie hüpften herum und attackierten einander. Eine bringt Trauer, zwei bringen Glück, drei sind ein Mädchen, ein Bub sind vier Stück . Sie sah immer noch den großen Bruder, der hilflos draußen auf der Bank saß. Der in den Augen seiner Mutter immer alles richtig gemacht hatte.
»Ist das alles? Ist das alles, was Sie brauchen?«
»Vorläufig. Ja, das ist alles. Danke.«
Sie suchte in ihrer Tasche nach dem
Weitere Kostenlose Bücher