Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
hinter ihr her.
» Mum ? Was ist? War er da?«
Am Fuße der Anhöhe warf Sally einen Blick in den Rückspiegel und sah, dass er ihnen nicht gefolgt war. Sie schwenkte nach links, vorbei an der großen Kirche aus dem neunzehnten Jahrhundert, die an der Gabelung stand, dann nach rechts und noch einmal nach links, um einen möglichst großen Abstand zwischen sich und den Mann zu bringen. Erst vor ihrem Cottage, weit draußen in der einsamen Landschaft, hielt sie wieder an. Sie stieg aus und blieb auf dem Rasen stehen, und sie atmete den Schwefelgeruch des Motors und den organischen Duft von Kuhmist und Gras ein. Sie spähte ins Tal, wo die Kolonne der Pendler sich träge in Richtung Autobahn schlängelte. Als sie sicher war, dass niemand ihnen gefolgt war, ging sie zurück zum Auto und öffnete die Beifahrertür. Millie wagte sich unter ihrem Blazer hervor. Ihr zerzaustes Haar stand in alle Himmelsrichtungen zu Berge, und ihr Blick war trüb und verloren. Kraftlos und erschöpft kroch sie mit hängendem Kopf heraus.
»Können wir jetzt hineingehen?«
Sally trug ihre Arbeitssachen ins Cottage und stellte sie in einer Ecke ab. Dann ging sie weiter ins Schlafzimmer ihrer Tochter, und Millie folgte ihr. Sally schleuderte die Schuhe von den Füßen und schlug die Decke zurück.
»Was ist?«
»Ins Bett.«
»Aber es ist erst fünf …«
»Bitte.«
Gehorsam streifte Millie die Schuhe ab und kroch ins Bett. Sally vergewisserte sich, dass die Vorhänge fest geschlossen waren, dann knipste sie das Licht aus, legte sich zu ihrer Tochter und umarmte sie von hinten. Sie sprach nicht, sondern lag einfach da, lauschte auf Millies Atem und starrte den schmalen Lichtstreifen zwischen den Vorhängen an. Sie zählte im Kopf, bewegte sich langsam und rhythmisch durch die Minuten, durch die Stille.
Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis Millie sprach. »Es tut mir leid.«
Sally nickte. Das war sicher die Wahrheit.
»Er handelt mit Drogen.«
»O Gott«, sagte Sally müde. »O Gott.«
»Er verkauft sie in der Schule, und auf der Faulkener’s auch. Er fährt zwischen den beiden hin und her. Ich nehme keine, Mum. Wirklich nicht. Ich hab’s einmal versucht, mit Nial und Soph. Aber bitte, bitte, sag Isabelle nichts. Bitte. Wir fanden es grässlich. Ich hab Herzrasen bekommen, und ich dachte, ich muss sterben. Alle in der Schule haben es getan, ehrlich – du wärst entsetzt, Mum, wenn du wüsstest, wer alles. Die Vertrauensschüler, und auch ein paar Leute aus der Hockey-Mannschaft. Die nehmen’s vor einem Spiel. Ist irgendwie total normal.«
Sally schmiegte den Kopf fester an den Rücken ihrer Tochter. Das war es, wovor die Tarotkarte sie hatte warnen sollen – vor dem, was da hinter ihrem Rücken vorging. Gott, sie war wirklich genauso blöd, wie Julian immer gesagt hatte. »Gehst du ihm deshalb aus dem Weg, diesem Mann? Wegen der Drogen?«
»Nein. Ich nehme keine Drogen, Mum. Ich schwöre. Bei allem, was du willst.«
»Hat es etwas mit Lorne Wood zu tun? Mit dem, was ihr passiert ist?«
Millie drehte sich um und sagte verwundert: »Nein, natürlich nicht. Wie kommst du darauf, dass es etwas damit zu tun haben könnte?«
»Womit dann?«
»Mit Geld.«
»Mit was für Geld?«
»Er hat mir welches geliehen.« Sie atmete schluchzend ein und fing leise an zu weinen. »Oh, Mum, ich dachte ehrlich, das ist okay, ganz ehrlich. Ich konnte nicht ahnen, dass es so ausgehen würde.«
Sally blinzelte in der Dunkelheit. Millie hatte sich Geld geliehen? Von so einem? Das träumte sie. »Das kann doch nicht viel sein.« Sie schwieg und fragte dann zögernd: »Oder?«
Millie krümmte sich zu einer Kugel zusammen. Ihre Schultern bebten. »O Scheiße Scheiße Scheiße. Mum, wenn du und Dad euch nicht getrennt hättet, wäre das nie passiert. Wenn ihr noch zusammen wäret, hätte ich das Geld.«
»Ist es wegen Glastonbury?«
»Nein, es geht um Malta. Wenn ihr noch zusammen wärt, hätte ich auf die Schulreise nach Malta gehen können.«
»Du warst doch in Malta.«
»Ja, aber ich hätte hinfahren können, ohne zu …« Sie fing an, laut zu schluchzen. »Es ist alles so vergurkt. Ich bin so blöd.«
Sally hob den Kopf. »Dad hat die Reise nach Malta bezahlt.«
»Hat er nicht . Am Ende hat Melissa es ihm verboten. Das konnte ich dir nicht erzählen – ich dachte, dann lässt du mich nicht mitfahren.«
»Und wie um alles in der Welt hast du …? Oh, Millie. Du willst sagen, du hast das Geld von ihm ? Von diesem Mann? Aber das muss
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