Atemlos
Früher lebten einmal drei oder vier Kanuri-Familien hier. Sind wohl fortgezogen, seit ich das letzte Mal hier war. Wenn im Norden das Weideland knapp wird, kommen die Tassili-Tuareg bis hier herunter. Was ist Ihr Ziel, Mr. Lash?«
Lash zuckte die Achseln. »Ich habe nichts Besonderes vor. Ich schau mir die Gegend an.« Das sollte wohl eine Erklärung dafür sein, daß er so unvermittelt aus dem Nichts aufgetaucht war. Aber es war ein dümmliches Alibi. Selbst einem Greenhorn wie mir war längst klargeworden, daß Wüstendurchquerungen sorgfältig geplant werden – mit genau ausgetüftelten Abfahrts- und Ankunftszeiten, mit präzise berechneten Treibstoff- und Wasserreserven. Kein vernünftiger Mensch würde wie ein Schmetterling kreuz und quer durch die Wüste flattern. Das Risiko, plötzlich irgendwo ohne Benzin oder Wasser dazustehen, war tödlich.
Lash trank an seinem Whisky. »Und Sie?«
»So ungefähr das gleiche«, sagte Byrne ausweichend.
Ich hätte erwartet, daß Lash uns intensiver nach unseren Reiseplänen befragt hätte, aber er ging nicht weiter auf das Thema ein. Er machte oberflächlich Konversation, tischte uns auf, er sei Direktor einer Verpackungsfirma in Birmingham und dies sei seit sieben Jahren sein erster richtiger Urlaub. »Ich wollte einfach einmal völlig die Tapeten wechseln«, sagte er.
Er versuchte mir aus der Nase zu ziehen, was ich in England trieb, und da er sicher sowieso schon alles über mich wußte, zeichnete ich ihm mein klares Berufsbild. »Jetzt«, schloß ich, »erhole ich mich von einer Krankheit. Und von einer bevorstehenden Scheidung.« Beides war die reine Wahrheit; die Ursache meiner Erkrankung war höchstwahrscheinlich er selbst, und der Satz von der Scheidung verwirrte ihn vielleicht ein wenig, weil es stimmte, wenn er nachfragte. Manchmal kann man mit der Wahrheit mehr verschleiern als mit einem Schwindel.
Er versuchte dann, Billson auszuhorchen, kam aber nicht weit damit, dann wünschte er gute Nacht und legte sich in seinem Wagen schlafen. Kurz darauf trat Konti aus der Finsternis, und Byrne befragte ihn eindringlich. Paul sagte: »Neugierig, dieser Lash, finden Sie nicht?«
»Ja? Kann ich nicht finden. Ganz gewöhnlicher Signalaustausch zwischen Schiffen, die sich in der Nacht begegnen, meiner Meinung nach.«
»Mir ist er unsympathisch.« Paul zog die Dschellabah über sich. »Ich glaube nicht, daß er wirklich das ist, was er sagt.« Ich wußte es, aber Paul bewies da eine Wachsamkeit, die mich überraschte. Vielleicht war es der sechste Sinn des gehetzten Tieres.
Ein paar Minuten später, außer Pauls Hörweite, sagte Byrne: »Kissack kampiert anderthalb Kilometer von hier. Konti hat ihn ausgespäht.« Er kicherte. »Bequem wird Kissack nicht schlafen. Der Wind wird heftiger.«
»Teilen wir diese Nacht Wachen ein?«
Byrne schüttelte den Kopf. »Konti wacht die ganze Nacht.«
»Bißchen hart für den Jungen, oder?«
»Überhaupt nicht. Er schläft sich morgen im Toyota aus. Für einen Teda ist Schlafen auf der Reise ein ungewohnter Luxus.«
Am nächsten Morgen hatte sich der Sturm erschöpft. Lash war fort mit seinem Wagen. »Ist vor der Dämmerung schon abgehauen«, sagte Byrne. »Merkwürdige Burschen, deine Landsleute. Kissack schießt auf Menschen, ohne ein Wort zu sagen, und Lash verduftet ohne ein Goodbye. Ziemlich unnachbarlich nenn ich das.«
»Was nun?«
»Weiter nach Chirfa und Djanet.«
Chirfa liegt über hundertfünfzig Kilometer nördlich von Seguedine: Ein Tuareg-Lager um eine verlassene Fremdenlegions-Festung, die ganz gut die Kulisse für den Film Beau Geste abgegeben haben könnte, wäre da nicht eine reichlich unsaharische Kleinigkeit gewesen – über dem Haupttor war ein Anker in die Mauer gemeißelt. Wir waren so weit vom Meer entfernt, wie ein Mensch auf diesem Planeten nur sein kann, deshalb starrte ich lange verblüfft auf dieses unglaubliche Wappen und befragte Byrne.
»Keine Ahnung«, sagte Byrne. »Vielleicht ist die Festung von Marinesoldaten gebaut worden.«
Die Tuareg von Chirfa schienen mir anders als die Tuareg zu sein, die ich bisher kennengelernt hatte; viel schäbiger gekleidet, zum Beispiel. Byrne sagte, sie gehörten zu den Tassili-Tuareg. Er kaufte ihnen einen Esel ab, den er Konti schenkte.
»Er trennt sich hier von uns«, sagte er. »Er geht nun nach Osten, an Djado vorbei und weiter in die Tibesti.«
»Wie weit ist es bis in die Tibesti?«
»Fünfhundert Kilometer vielleicht, drüben im
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