Atemlos
anderen. Ob ihm zu diesem Zeitpunkt meine und Byrnes Notlage in den Sinn kam, ist ganz ungewiß.
Er beugte sich über das Grab, griff nach einem Stein und hegte ernsthaft die Absicht, die Bestattungsstelle wieder herzurichten. Aber dann überlegte er es sich doch anders. Mit dem logischen Denken hatte Paul immer schon Schwierigkeiten, wie bereits gesagt; er war ein Mann, der auf Eindrücke reagierte. Aber diesmal dachte er doch nach, legte den Stein wieder an die Stelle, wo er ihn aufgehoben hatte, setzte sich, so daß er vom Grab aus nicht zu sehen war, auf einen Felsen und wartete auf neue Einfälle.
Bald sah er Rauch über sich, dann hörte er einen dumpfen Knall nebst diversen Echos; der Tank der Luftikus war explodiert. Er schloß daraus richtig, daß die Luftikus zerstört wurde, wußte zwar nicht warum, aber das wußten zu diesem Zeitpunkt ja nur wenige. Er stand auf, starrte in die Rauchwolken und war abermals unschlüssig.
Von einem Spalt in den Felsen konnte er auf das Grab schauen. Paul hatte, obwohl er das kaum begriff, eine Schießscharte vor sich: zwei Steine, die auf einem dritten standen, der Zwischenraum zwischen beiden knapp ein Meter. Das Grab lag etwa sieben Meter entfernt. Es waren sogar zwei Simse vorhanden, auf die er beim Zielen seine Ellbogen stützen konnte.
Der Zufall und die Umstände und die verschlungenen Gedankengänge in seinem Hirn hatten Paul zur rechten Zeit an den rechten Platz gestellt. Bald hörte er Stimmen.
Wenig später feuerte er das Gewehr ab.
Die Mündungsexplosion eines aus nächster Nähe abgefeuerten Armeegewehrs kann recht beängstigend sein. Ich vermute, daß bei einer Hinrichtung durch ein Peloton von acht Schützen ein Delinquent, selbst wenn alle acht danebenzielen, allein schon am Schock sterben kann. Dieser einzelne Schuß, der so unerwartet fiel, ließ jeden zur Salzsäule erstarren – dieweil Kissack kopflos zu Boden stürzte.
Die Kugel war Kissack durch den Hinterkopf gedrungen, als hätte er überhaupt nicht da gestanden; sie flog in die Höhle, zickzackte als Querschläger von Wand zu Wand, drang surrend wieder ins Freie und verschreckte Zayid. Doch das allein löste nicht die Erstarrung, sondern vielmehr das metallisch-trockene Klicken, das aus dem Nichts an unsere Ohren zu dringen schien, als Paul nun ungeschickt langsam – aber es klang unheimlich überlegen – den Lademechanismus betätigte, um sein Gewehr neuerlich schußfertig zu machen. Lash hatte plötzlich eine Pistole in der Hand; im gleichen Augenblick hechtete Byrne nach der Waffe, die Kissack entfallen war. Es fällt schwer, einen Mann anzubolzen wie auf dem Rugbyplatz, wenn man beide Hände auf dem Rücken gefesselt hat, aber ich tat mein Bestes, warf mich gegen die Beine von Lash. Er feuerte die Pistole ab, ich verspürte einen schmetternden Schlag im linken Arm und fiel auf die Seite. Aber ich hatte Lash zu Fall gebracht.
Dann surrten die Kugeln über mich weg wie Bienen; Byrne schoß über mich hinweg und an mir vorbei, aus dem Augenwinkel sah ich Zayid zu Boden gehen. Paul leistete mit einem weiteren Donnerschuß einen eindrucksvollen Beitrag zur allgemeinen Verwirrung, gerade als Lash die Pistole auf Byrne anlegte. Ich schwenkte wuchtig die Beine herum und trat Lash ins Handgelenk, noch ehe Byrne ihn erwischte. Der Alte schoß in Polizistenmanier: halbgeduckt und direkt aufs Ziel, mit gestreckten Armen und beide Hände am Kolben. Er jagte drei Kugeln in Lash hinein, der schüttelte sich konvulsivisch, schlug wild auf dem Boden um sich und fing an zu schreien. Paul feuerte abermals, die Kugel prallte als Querschläger von Fels zu Fels. Über Lashs Wehgeschrei hinweg rief Byrne: »Paul, hör auf, um Gottes willen, du bringst uns ja alle um!« Ich versuchte hochzukommen, stützte mich aber auf den falschen Arm; ein rasender Schmerz durchzuckte mich. Als ich endlich aufrecht saß und mich umblickte, sah ich Zayid, Kissack und Lash am Boden liegen; Lash schrie wie Bailly damals in der Ténéré. Die beiden Gorillas waren verschwunden. Und alles hatte höchstens zwanzig Sekunden gedauert.
Byrne rief wieder: »Komm raus, Paul! Zeig dich!«
Und da kam unser Paulchen auch tatsächlich hinter einem Felsen zum Vorschein, das Gesicht weiß wie Mehl, die Hände zitternd. Byrne lief ihm entgegen und konnte eben noch das Gewehr auffangen, das Paul aus den Händen fiel. »Hast du das Magazin gefüllt?«
Paul nickte wortlos.
»Noch Munition?«
Paul führte seine Hand in die Tasche und
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