Atemlos
spulte den Film aus der Kamera, gab ihn ihm und stieg aus; er fuhr wild hupend davon. Im Hotel brach augenblicklich die vorhergesehene Aufregung los, doch ließen sich die Vorwürfe mühelos durch großzügige Bezahlung für das nicht benutzte Zimmer zum Schweigen bringen. Der Geschäftsführer sprach ein miserables Französisch, aus dem sich nichtsdestotrotz entnehmen ließ, daß die Polizei sich nach mir erkundigt hatte. Ich versprach reuevoll, mich auf der Stelle beim poste de police vorzuführen.
Daraufhin setzte ich mich in den Innenhof und ließ mir ein Bier kommen, und nie im Leben ist mir ein köstlicheres Gebräu über die Zunge gelaufen. Nichts hatte sich in Tamanrasset geändert, seit ich hier eingeflogen war, aber jetzt sah ich es mit neuen Augen. Die Tuareg wandelten immer noch mit ihrer majestätisch-trägen Art über die sandige Straße, wenn sie nicht in kleinen Gruppen beieinanderstanden und diskutierten, was Tuareg eben so zu diskutieren haben – die Kamelpreise wahrscheinlich oder die Schwierigkeiten beim Schießen von Gazellen. Viele trugen Schwerter.
Natürlich gab es keinen Grund, weshalb sich Tam geändert haben sollte – ich hatte mich verändert. Die paar Tage in Atakor und Koudia hatten doch tatsächlich, hol's der Geier, einen anderen Menschen aus mir gemacht. Und irgendwie fand ich es auch sehr gut, nun nach Niger hinunterzugehen, an einen Ort, der Agades hieß – wo war das doch noch genau? Ach ja, im Air-Dingsbums. Ich fand es gut, ich wußte nicht, wie weit das weg war, und ich fragte mich, ob es hier auch Landkarten zu kaufen gäbe.
Eigentlich brauchte ich auch andere Sachen. Ich sah an mir herab. Der schnuckelige Tropenanzug aus dem feinen Londoner Schneideratelier wies deutliche Spuren meiner Wüstenfahrt auf. Ich verpaßte der Jacke einen kräftigen Schlag mit der flachen Hand, und eine Staubwolke stieg auf. Mit all dem Safaridreck und meiner auch sonst unrasierten Erscheinung hätte mich jeder Londoner Bobby auf der Stelle eingelocht. Aber ich sah keine Möglichkeit, mich in Tam frisch auf europäisch einzukleiden. Ich mußte Byrne mal fragen.
Ich trank mein Bier und bestellte mir einen Kaffee, der mir dick und zuckrig in einem Minitäßchen serviert wurde; aber das war mir nun auch schon egal, und ich beschloß, doch lieber beim Minztee zu bleiben. Ich war gerade auf halbem Weg durch mein zweites Glas Bier, als Byrne wieder auftauchte. Seine erste Amtshandlung bestand in der Bestellung eines Bieres, die zweite darin, das Glas in einem Zug zu leeren. Er ließ sich gleich ein neues kommen, dann erst sagte er: »In der Stadt ist niemand, der Kissack heißt.«
»Aha«, sagte ich.
Er stieß einen halb wohligen, halb nervösen Seufzer aus. »Das besagt natürlich nichts. Sich einen neuen Namen zuzulegen, schafft jeder leicht. Eine deutsche Touristengruppe treibt sich in Tam herum.« Er lachte. »Ein paar haben sogar Lederhosen an.«
Ich fand das kaum komisch. Lederhosen waren in der Wüste auch nicht viel lächerlicher als mein Anzug. Ich sagte: »Haben Sie Karten? Ich wüßte schon gern, wohin ich fahre.«
»Ich komme ohne Karten aus«, sagte er. »Aber ich kann Ihnen eine besorgen.«
»Und was Neues zum Anziehen könnte ich auch gebrauchen.«
Er sah mich prüfend an. »Warten Sie, bis wir weiter nach Süden kommen. Hier gibt's kaum was. Agades ist da besser. Ihre Fotos sind in einer Stunde fertig. Ich hab' dem Fotografen Dampf gemacht.« Er leerte sein Glas. »Und nun sagen Sie der Polizei mal Ihre Geschichte auf.«
Vor dem Eingang zum poste de police fragte er noch: »Haben Sie Ihren Paß auch dabei?«
Ich zog ihn aus der Tasche, zögerte aber. »Augenblick mal, wirkt das nicht komisch, wenn ich nach Niger will und kein nigerisches Visum im Paß habe?«
»Kein Problem«, sagte Byrne. »Das kümmert den Bullen einen Dreck. Niger ist ein anderes Land, und was für Ärger Sie sich dort einhandeln, macht ihm kein Bauchweh. Ihn interessiert nur, daß Algerien Sie endlich vom Hals hat. Und jetzt gehen Sie schon rein und mimen den bekloppten Touristen. Ich stehe gleich hinter Ihnen.« Und damit machte ich dem fettleibigen Polypen hinter dem Schreibtisch meinen Kratzfuß und legte ihm den Paß vor die Nase.
»Ich hatte Sie bereits früher erwartet, Monsieur Stafford«, ließ er sich kühl vernehmen. »Was hat Sie aufgehalten?« Er sprach französisch mit rauhem Akzent.
»Merde!« sagte Byrne. »Die paar Tage!« Es hätte mich eigentlich nicht überraschen müssen, daß
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