Atemlos
wärst du zu müde, zu Fuß heimzulaufen. Wär ganz gut, wenn du dir vorher die Felsmalereien ansehen würdest.«
Also fuhren wir die Piste hoch, die von Bilma aus nach Norden führt, und schauten uns die Felszeichnungen an. Es waren eigentlich mehr Ritzungen, die in das senkrechte Gestein geschnitten waren. Die Motive waren recht interessant: allerhand Vieh mit gespreizten Hörnern, ein Reiter auf einem Pferd, das unverkennbar ein Hengst war – der Reiter war allerdings nur wie ein Strichmännchen dargestellt –, und dann noch, ganz überraschend, ein Elefant, und der war in einer einzigen, durchgehenden Linie, auf die ein Picasso hätte stolz sein können, verewigt.
»Ein Elefant?«
»Warum nicht?« fragte Byrne. »Was meinst du denn, wo Hannibal die Elefanten für seine Alpenüberquerung herhatte?«
Diese Frage hatte mich nie beunruhigt.
Byrne sagte: »Der nordafrikanische Elefant ist vor zweitausend Jahren ausgestorben. Ich hab' allerdings noch Skelette gesehen. Es waren Zwergelefanten, halb so groß wie der indische Elefant.«
Ich blickte über das vegetationsarme Land ringsum. Hier wuchs nicht einmal genug für ein Zwergkaninchen. Ich sah mir noch einmal die Zeichnungen an. »Wie alt?«
»Vielleicht zweitausend Jahre. Allerdings nicht so alt wie die Malereien im Tassili.« Er wies auf einige Zeichen – Kreuze, Kreise, Vierecke, Punkte. »Das ist jünger. Das ist Tifinagh, die Tamachekschrift.«
»Und was heißt das?«
»Kann's leider nicht lesen.« Er lächelte. »Vielleicht heißt es so etwas wie ›Ich liebe Lucy‹ oder ›Kilroy war hier‹. Am besten ziehst du dir was anderes an.«
Und damit verwandelte ich mich wieder in einen Europäer. Hemd und Hose wirkten seltsam beengend nach der Freiheit, die mir die Gandura gewährt hatte. Byrne fuhr auf die Piste nach Bilma zurück. »Der Reiseleiter wird wahrscheinlich alle Pässe einsammeln und zur Überprüfung im Fort vorlegen. Dich wird er natürlich nicht nach dem Paß fragen. Misch dich einfach nur unter die Leute, damit es so aussieht, als gehörtest du dazu. Kurz danach wird sich die Gruppe auflösen, um sich Bilma anzuschauen. Das ist dann deine Chance, Kissack aufzustöbern.«
»Hoffentlich lassen die Bullen nicht abzählen«, sagte ich. Aber Byrne schüttelte den Kopf. »Und wo finde ich Kissack?«
»Du mußt eben überall herumschauen. Achte auf einen Rangerover. Außerdem gibt es noch einen vergammelten Schuppen, der sich Restaurant nennt. Auf jeden Fall kriegst du da ein Bier.«
Er ließ mich am Straßenrand stehen und fuhr davon. Freundlicherweise ließ er mir etwas Wasser da – in einer Feldflasche, die ihren verschlungenen Schicksalsweg offenbar in der britischen Armee begonnen hatte.
Die deutsche Reisegruppe gab mir nach etwa drei Stunden Wartezeit die Ehre ihres Erscheinens: achtzehn Leute in vier Landrovern mit verlängertem Radstand. Ich stellte mich auf die Piste und hob die Hand. Gleich der erste Landrover hielt. Mein Deutsch, das ich einmal bei der Britischen Rheinarmee gelernt hatte, war grammatikalisch etwa so wie Byrnes Französisch, aber ich kam damit zurecht. Kein Ausländer nimmt es einem übel, wenn man seine Sprache schlecht spricht, sofern man es nur überhaupt versucht. Außer den Franzosen natürlich.
Der Fahrer dieses Autos war auch der Reiseleiter; er war gern bereit, mich bis Bilma mitzunehmen, sofern ich mich neben ihm dünn zu machen bereit war. Dann sah er mich neugierig an: »Was hat Sie denn in diese Wildnis geführt?«
»Ich bin von Bilma aus hierher spaziert, um mir die Felszeichnungen anzusehen«, lächelte ich. »Aber ich möchte nicht gern noch einmal die ganze Strecke laufen.«
»Ich wußte gar nicht, daß es auch hier Felszeichnungen gibt. Im Norden, am Col des Chandeliers, da gibt es ja viele. Aber hier?«
»Nur drei Kilometer von hier landeinwärts.«
»Können Sie uns das zeigen? Es würde meine Leute bestimmt interessieren.«
»Selbstverständlich. Mit dem größten Vergnügen.«
Und schon stand ich wieder vor dem zweitausendjährigen Vieh, dem Hengst und den Elefanten. Ein Glück, daß Byrne mit mir diesen Abstecher gemacht hatte. Wir verbrachten etwa zwanzig Minuten in den Felsen, und die Deutschen knipsten fleißig mit ihren japanischen Kameras. Es war eine gemischte Gesellschaft: Teenager, aber auch alte Leute; ich hätte gern gewußt, was sie in der Wüste suchten, denn die üblichen Gesellschaftsreise-Typen waren das nicht. Kaum eine halbe Stunde später fuhren wir die lange
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