Atevi 1 - Fremdling
überbringen lassen. Die Ehe zwischen Atevi bedeutete nicht, daß Tisch und Bett miteinander geteilt wurden. Häufig lebte man getrennt, es sei denn, da waren kleine Kinder aufzuziehen. Bei manchen dauerte das Zusammenleben an, bei anderen endete es nach kurzer Zeit. Was die Atevi zu diesem Thema dachten oder fühlten, blieb für Bren ein Rätsel. Auch keiner seiner Vorgänger hatte dieses Geheimnis lüften können.
Bren sympathisierte mit diesem Aiji-Paar von Malguri, so wie er mit jenen Großeltern sympathisierte, die, auch wenn sie möglicherweise nicht zusammenlebten, miteinander auf Reisen gingen, um gemeinsam Schönes und Interessantes zu erleben.
So oft er, der Paidhi, in Erfahrung zu bringen versucht hatte, wie Atevi ihr Leben einrichten und nach welchen Regeln sie miteinander verkehren, war er stets auf Zurückhaltung gestoßen. Solche Fragen fielen unter die Rubrik ›private Angelegenheiten‹, und die gingen niemanden etwas an.
Er dachte, daß vielleicht Jago Auskunft geben würde. Sie schien an seinen indiskreten Fragen Gefallen zu finden. Vielleicht kannte sie auch, belesen wie sie war, die Geschichte dieses historischen Paars von Malguri.
Er vermißte Jago. In ihrem Beisein wäre es bestimmt nicht zu der ärgerlichen Auseinandersetzung mit Banichi gekommen. Wieso hatte der eigentlich mit ihm zu Abend essen wollen und sich dann bei Tisch so schlecht gelaunt gezeigt?
Nun, es ließ sich durchaus verstehen, daß Banichi schlecht gelaunt war. Er hatte feststellen müssen, daß er den Mann kannte, der von Cenedi erschossen worden war. Wahrscheinlich war Banichi sehr viel tiefer betroffen, als er nach außen hin zu erkennen gab. Vielleicht wünschte auch er sich Jago zurück. Tja, Banichi hatte es wirklich schwer, nicht zuletzt mit ihm, Bren, der mit Emotionen hausieren ging, und das mit einer Nachdrücklichkeit, die sich kein Atevikind herausnehmen dürfte.
Vielleicht sollte er sich bei ihm entschuldigen.
Oder auch nicht. Verständnis zu haben bedeutete nicht automatisch, versöhnt zu sein. Ach, dachte Bren, wäre Jago doch hier und nicht nach Shejidan geflogen. Er glaubte, einen Draht zu ihr gefunden und erkannt zu haben, daß sie – vielleicht von Natur aus – offenherziger war, jedenfalls gesprächsbereiter als Banichi.
Im flackernden, spärlichen Licht zu lesen strengte die Augen an. Er schürte das Feuer, um für mehr Helligkeit zu sorgen, mit dem Ergebnis, daß es so nahe am Kamin unerträglich warm wurde. Die Öllampen verpesteten die Luft. Kopfschmerzen machten sich bemerkbar. Er stand auf und rückte den Sessel von der Feuerstelle weg, leise, damit das Personal nicht aufmerksam wurde. Er war zu unruhig, um jetzt schon schlafen zu können.
Auch diesmal mußte er wieder auf die Spätnachrichten verzichten. Kein Denken daran, mit Barb oder Hanks zu telefonieren. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Selbstgespräche zu führen, um den Klang der Menschensprache im stillen zu hören und, wenn auch nur für kurze Zeit, den verfänglichen atevischen Denkmustern entkommen zu können.
Irgendwo draußen wurde ein Motor gestartet. Er hielt inne und lauschte. Da schien jemand den Hof zu verlassen und in die Ortschaft zu fahren. Verdammt, das kann nur einer sein, dachte Bren und ging ans Fenster. Doch in den Hof ließ sich nicht Einblick nehmen wegen des ausladenden Vordachs über dem Portal. Er preßte das Gesicht an die Scheibe, um wenigstens erkennen zu können, ob der Wagen über die Zufahrt ins Tal fuhr oder in Richtung Hügel. Der Riegel des Fensterflügels war mit einem Splint gesichert. Er öffnete ihn auf die Gefahr hin, Alarm auszulösen.
Was hatte man ihm gesagt? Daß es nur den Bus der Fluggesellschaft gebe? Von wegen. Malguri hatte seinen eigenen Wagen zur Beförderung von Lebensmitteln und Passagieren. Man hätte auch ihn vom Flughafen damit abholen können.
Wahrscheinlich war Banichi dagegen gewesen – aus Sicherheitsbedenken und weil er Cenedi anfänglich nicht über den Weg getraut hatte.
Vielleicht mißtraute er ihm noch immer.
Dem Geräusch nach zu urteilen, fuhr der Wagen um die Außenmauer herum. Aber womöglich täuschte er sich. Der Wind hatte aufgefrischt und wehte ihm entgegen.
In den vergangenen Nächten hatte es um diese Zeit immer geregnet. Nicht so heute. Die Luft über dem See und über den Bergen im Osten war klar und schwarz und kalt. Maudette schimmerte rötlich am Himmel, und bei genauem Hinsehen ließ sich auch der fast kaum sichtbare Begleiter von Gabriel
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