Atevi 1 - Fremdling
über Mospheira erkennen.
Die Nachtluft duftete köstlich, nach Wildblumen, wie er vermutete. Er sehnte sich in den Garten des Bu-javid zurück.
In klaren Nächten war vom Mount Allan Thomas aus die Raumstation zu sehen, und zwar nach Sonnenuntergang und kurz vor Sonnenaufgang. In seiner Jugend hatte er die Zeiten ihres Auftauchens genau festgehalten, wenn er mit Toby in den Bergen wanderte und Geschichten über die Landung austauschte. Sie hatten sich – was ihm heute peinlich war – in ihrer Phantasie ausgemalt, Krieg zu fuhren gegen atevische Schurken, die sich in den Bergen verschanzt hielten – ganz nach dem Vorbild der Machimi-Stücke, in denen die abschreckende Vorstellung menschlicher Freischärler zur Anschauung gebracht wurde, die, von der heimlichen Basis ihrer Raumstation, dem sogenannten fremden Stern, gelenkt, Unheil anrichteten unter den Atevi. Die Geschichten waren dieselben, nur unter anderen Vorzeichen und mit getauschten Rollen in bezug auf Helden und Halunken.
Bren hatte Tabini gegenüber nie erwähnt, daß seine Familie väterlicherseits auf Polanski zurückzuführen war, auf jenen General, der den atevischen Truppen bei der Halbmondbucht auf Mospheira eine vernichtende Niederlage bereitet hatte.
Damit wollte Bren nichts mehr zu tun haben. Vielmehr wünschte er sich, daß Atevikinder ihre Angst ablegten vor Menschen und daß deren Kinder aufhörten, in den Wäldern auf imaginäre Atevi zu schießen. Spontan hatte er den Einfall, diesen Gedanken zum zentralen Thema seiner Winterrede vor der Vollversammlung zu machen und dafür zu plädieren, daß die Kinder auf beiden Seiten nicht länger gefüttert wurden mit Filmen, die nur dazu angetan sind, Mißtrauen und Haß gegen das jeweils andere Volk zu schüren.
Doch wie die Dinge vorläufig standen, war es nicht klug, am offenen, erleuchteten Fenster zu stehen. Jago hatte ihn erst vergangene Nacht vor Scharfschützen gewarnt.
Er wollte gerade das Fenster schließen, als ein greller Lichtstrahl durchs Dunkel zuckte und Alarm ausgelöst wurde. Aufgeschreckt schlug er das Fenster zu und schob den Riegel vor. Gleich darauf hörte er im Nebenzimmer die Dielen knarren.
Tano kam herbeigeeilt, splitternackt und mit einer Pistole in der Hand, dicht gefolgt von Djinana, dann Maigi, der tropfnaß in ein Handtuch gewickelt war. Mittlerweile schien das ganze Haus auf den Beinen zu sein. Noch immer schrillte der Alarm.
»Haben Sie ein Fenster geöffnet?« fragte Tano.
»Ja, tut mir leid, Nadiin.«
Tano und die anderen zeigten sich erleichtert. Im Nebenzimmer hörte man einen Riegel ratschen. Auf ein Zeichen Tanos hin ging Djinana nach nebenan.
»Wir sind wieder am Netz, Nadi«, sagte Tano. »Daß sie das Fenster aufmachen, darf nicht wieder vorkommen. Und bleiben Sie davon weg, vor allem bei Nacht. Es ist zu Ihrem eigenen Schutz.«
Djinana kehrte mit Cenedi und zwei Burgwachen zurück. Tano informierte sie: »Der Paidhi hat das Fenster geöffnet.«
»Nand’ Paidhi«, sagte Cenedi. »Tun Sie das nicht wieder, bitte.«
»Entschuldigen Sie«, antwortete Bren kleinlaut. Die Alarmglocke zerrte an seinen Nerven. »Kann bitte jemand den Alarm ausschalten?«
Es dauerte eine Weile, bis endlich wieder Ruhe einkehrte. Nachdem alle Türen und Fenster überprüft, die Öllampen gelöscht und alle Wachen wieder abgezogen waren, ließ sich Bren aufs Bett fallen, zerknirscht über den peinlichen Vorfall. Was würde wohl die Aiji-Mutter über ihn denken? Oder Banichi? Wieso war er nicht aufgetaucht?
So ein fahrlässiger Unsinn, die Alarmanlage von der allgemeinen Stromzufuhr abhängig zu machen und bei einer Störung zu riskieren, daß auch die Sicherheit verlorenging. Kaum vorstellbar, daß Banichi oder Cenedi eine solche Schlamperei hatten durchgehen lassen. Aber wer weiß, vielleicht war Malguri auf andere, zusätzliche Weise abgesichert. Etwa durch ein solarbetriebenes System.
Wie dem auch sei, der Paidhi hatte das Haus in Aufruhr versetzt und stand jetzt als Trottel da – was seinen Stand bei Ilisidi nicht verbessern würde. Bestimmt nicht.
VIII
»Lärmige Nacht«, meinte Ilisidi und schenkte sich ihren Spezialtee ein, dessen Duft mit dem Schwaden über den Tisch strömte und Bren auf den Magen schlug.
»Es tut mir schrecklich leid«, entgegnete er und zeigte sich verlegen.
Ilisidi grinste wohlwollend und rührte Zucker in den Tee.
Sie war bei bester Laune und vertilgte im Verlauf des Frühstücks nicht weniger als vier Fische, eine
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