Atevi 1 - Fremdling
weiteres zu identifizieren war, nicht zuletzt auch über deren speziell gekennzeichneten Geschosse.
Er mußte dringend Banichi Bescheid geben, denn der käme in Teufels Küche, wenn aus dieser Waffe geschossen würde. Aber wie sollte er ihn erreichen? Er hatte kein Telefon, kein Taschen-Kom und wußte nicht, wo Banichi steckte. Er konnte nicht einmal die Wohnung verlassen, ohne Alarm auszulösen…
Ja, Alarm auslösen und hoffen, daß Banichi darauf antwortete. Nicht gerade der diskreteste Weg, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen.
Vielleicht war es doch besser stillzuhalten, bis Banichi oder Jago von sich aus zurückkehrten. Das Personal durfte von der verschwundenen Waffe nichts wissen. Am ehesten wäre noch Tano und Algini zu trauen, die aus Shejidan mit nach Malguri gekommen waren…
Bren wußte nicht ein noch aus. Er war völlig übermüdet und in einer so schlechten Verfassung, daß er sich außerstande sah, einen Entschluß zu fassen. Er hatte jeden Überblick verloren.
Als es in der Ferne donnerte, zuckte er vor Schreck zusammen – auch das ein Beleg für seine Müdigkeit. Sollte er es tatsächlich wagen, Alarm zu schlagen? Banichi und Jago machten womöglich gerade auf irgend jemanden Jagd, draußen im Regen – oder schlimmer noch: im Haus. In seiner Phantasie sah er den Gaskessel im Keller mit Sprengsätzen behaftet…
So ein Unsinn anzunehmen, daß wegen seiner ganz Malguri in die Luft gesprengt werden könnte. So plump, so mishidi würde kein Assassine zu Werke gehen.
Nein, eine Explosion war nicht zu befürchten. Und angenommen, es würde ein Verbrechen verübt werden und in dem Zusammenhang ein Geschoß auftauchen, dessen Markierung auf die Spur von Banichi führte – nun, dann würde er die Sache aufklären können. Es sei denn, er wäre das Opfer dieses Verbrechens. Nein, dachte er; es war keine gute Idee, nach draußen zu gehen, im Flur umherzuirren und seine Bewacher zu alarmieren. Und weil er keinen besseren Plan hatte, nahm er sich vor zu lesen. Er warf den Morgenmantel über, um es ein bißchen wärmer zu haben, setzte sich im Kaminzimmer vors Feuer und nahm seine Lektüre zur Geschichte Malguris wieder auf.
Es ging um Loyalität und um Erwartungen, die sich nicht erfüllen.
Darin kannte er sich aus, hatte doch auch er erwartet, Gefühle auf Seiten der Atevi ansprechen zu können, obwohl diese offenbar gar nicht vorhanden waren. Ende der Fahnenstange. Daran ließ sich nicht rütteln.
Und wie stand es wohl um die Erwartungen der Atevi an die Menschen – in emotionaler Hinsicht? Darüber machten sich die Atevi doch bestimmt auch Gedanken. Oder? Oder entsprang auch diese Unterstellung anthropozentrischen Vorurteilen. Es war einfach falsch, von universellen Emotionen auszugehen oder davon, daß Lebewesen, die ähnliche Dampflokomotiven konzipiert haben wie seinerzeit die Menschen, auch von einer ähnlichen psychischen Disposition sind. Lokomotiven, egal von welcher Gattung gebaut, erfüllen einen praktischen Zweck, den nämlich, sich aus eigener Kraft und mit möglichst geringen Reibungsverlusten vorwärts zu bewegen. Dieser Zweck richtet sich nach den Vorgaben der Mechanik und der Physik, und die, nur die waren gleich, auf der Erde wie in der Welt der Atevi.
Ein Bewußtsein samt seiner emotionalen Ausstattung entwickelt sich jedoch nach ganz anderen, sehr viel verwickelteren Vorgaben aus genetischen Zufällen und evolutionären Umständen.
Wie dem auch sei, es war niemandem ein Vorwurf zu machen. Keiner trug Schuld daran, daß die Menschen hier auf diesem Planeten gelandet waren, verirrt, entwurzelt. Die Physiker hatten zwar ihre Theorien, doch nach wie vor wußte kein Mensch seinen neuen Platz im Weltall zu lokalisieren. Die bewährten Methoden zur Ortsbestimmung schlugen fehl. Alle Anhaltspunkte waren während der jahrzehntelangen Irrfahrt durch den Subraum aus den Augen verlorengegangen.
Und es war ein mühsamer Weg gewesen durch den Sterngürtel aus Eistrümmern hinunter in die bewohnbare Zone, wo sie ihre Station errichtet hatten. Dort zu bauen und nicht am Rand des Systems, die bewußte Entscheidung für das Risiko, in direkter Nachbarschaft mit den Alteingesessenen zu leben, über die soviel wie gar nichts bekannt war – das und nur das hatten die Menschen zu verantworten.
Sie hatten der Not gehorchen müssen und zukünftige Probleme in Kauf genommen. In einem ramponierten Raumschiff von Sonnenstürmen und kosmischer Strahlung bedroht, war ein verlockender Planet ins
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