Atevi 1 - Fremdling
mit seiner Macht dem Ende zuging.
Dem Paidhi wäre vorzuwerfen, daß er diese bedrohliche Situation nicht erkannt hatte. Unverzeihlich.
Er gab Cenedi das Schreiben zurück, bemüht, das Zittern der Hände zu unterdrücken. Dabei fühlte er sich plötzlich frei von Angst, was ihn selbst verblüffte. Er spürte nur einen Kloß im Hals und eine kalte Unempfindlichkeit in den Fingerkuppen.
»Nadi«, sagte er ruhig. »Ich verstehe das alles nicht. Stammte der Assassine, der mich in Shejidan zu liquidieren versucht hat, etwa aus Ihren Reihen?«
»Nicht direkt. Zu leugnen wäre Unrecht.«
Tabini hatte ihn bewaffnet und damit den Vertrag verletzt.
Cenedi war doch derjenige gewesen, der den Eindringling im Burghof zur Strecke gebracht hatte, oder nicht?
Brens Verwirrung war komplett.
»Wo ist Banichi? Wo ist Jago? Wissen die beiden von dem Brief? Wissen sie, wo ich bin?«
»Ja. Ich sagte: Mitverantwortung zu leugnen wäre Unrecht, eine Lüge. Aber wir bedauern und schämen uns, daß ein Verbündeter einen lizensierten Profi zu einer unehrenhaften Tat angestiftet hat. Die Gilde ist in Verlegenheit gebracht worden durch dieses Mitglied, das aus persönlicher Gesinnung gehandelt hat. Auch ich schäme mich, weil es zu dieser Teevergiftung gekommen ist. Daß Sie meine Bitte um Verzeihung angenommen haben, macht es mir nun nicht leichter meiner Pflicht nachzukommen. Bitte, glauben Sie mir, ich hege keinen persönlichen Groll gegen Sie. Aber ich werde alles tun, um die Situation aufzuklären.«
»Welche Situation?«
»Nand’ Paidhi, ich frage Sie: Haben Sie uns je hinters Licht geführt? Uns weniger – oder mehr – als die Wahrheit versprochen?«
Allen panischen Regungen zum Trotz versuchte Bren, kühlen Kopf zu bewahren. Er wußte nicht, welche Informationen oder Fehlinformationen Cenedi hatte. Äußerste Vorsicht war angezeigt.
»Nadi, es kann durchaus sein, daß ich das eine oder andere Mal ein technisches Detail – einen Schaltplan oder dergleichen – dem Aiji oder dem zuständigen Fachbereich vorenthalten habe, aus Schlampigkeit, aber auf keinen Fall in böser Absicht. Auch für meine Vorgänger kann ich guten Gewissens sagen, daß wir nie ein doppeltes Spiel gespielt haben.«
»Haben Sie sich in Zusammenarbeit mit Tabini jemals in den Funkverkehr zwischen Mospheira und der Raumstation aktiv eingeschaltet?«
Gütiger Himmel.
»Fragen Sie den Aiji.«
»Präziser gefragt: Haben Sie auf Anordnung des Aiji bestimmte Zahlencodes in diese Verbindung eingespeist?«
»Fragen Sie ihn.«
Cenedi warf einen Blick in seine Papiere; sein dunkles Gesicht war völlig ausdruckslos. »Ich will’s von Ihnen wissen. Ist es dazu gekommen?«
»Das ist Tabinis Sache.« Seine Hände waren kalt. Er knetete die Finger und versuchte sich einzureden, daß das Gespräch mit Cenedi nicht brisanter war als eine x-beliebige Ausschußsitzung. »Wenn Tabini-Aiji mit Mospheira in Kontakt zu treten wünscht, übermittle ich seine Mitteilung auf den Punkt genau. Das gehört zu meinem Job. Ich würde seine Worte oder die Antwort von Mospheira niemals verfälschen. Ich belüge weder die eine noch die andere Seite.«
Cenedi legte eine lange Pause ein. Aus der Ferne grollte dumpfes Donnern.
»Haben Sie immer die Wahrheit gesagt, Nadi?«
»In diesen Funkmeldungen? Ja, das habe ich.«
»Ich soll Ihnen im Namen der Aiji-Mutter ein paar Fragen stellen. Werden Sie darauf antworten?«
Die Fallschlingen zogen sich enger zu. Der Alptraum eines jeden Paidhi war für Bren Wirklichkeit geworden, nicht zuletzt deshalb, weil er Atevi Vertrauen geschenkt hatte, entgegen allen Ermahnungen seiner Ausbilder und obwohl er wußte, daß dieses Vertrauen nicht auf Gegenseitigkeit beruhen konnte. Dennoch hatte er an der Einbildung festgehalten, Tabini wäre ihm persönlich zugetan, wovon er schließlich so überzeugt war, daß er seine Pflichten Mospheira gegenüber verletzte und darauf verzichtet hatte, sein Büro zu informieren, als dies dringend geboten war.
Falls Cenedi nun Gewalt anwenden würde… der Paidhi wäre ihr hilflos ausgeliefert. Falls Cenedi das Geständnis eines Komplotts der Menschen gegen die Atevi aus ihm herauszupressen versuchte… Bren zweifelte, ob er dem Druck würde standhalten können.
Er seufzte, hob nach Ateviart die Schultern und sagte: »So gut ich kann. Ich werde die Fragen nach bestem Wissen beantworten.«
»Mospheira hat… wie viele Einwohner?«
»Ungefähr vier Millionen.«
»Keine Atevi?«
»Keine.«
»Sind in der
Weitere Kostenlose Bücher