Atevi 1 - Fremdling
unter den Menschen bekämen Oberwasser. Sie hatten ja immer schon davor gewarnt: Hütet euch vor Freundlichkeiten mit Tabini.
Ironischerweise waren sich die Betonköpfe zu beiden Seiten der Meeresstraße äußerst ähnlich. Würden sie ans Ruder gelangen, wäre das Verhängnis nicht mehr aufzuhalten.
Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, daß er Cenedis Kompromißvorschlag abgelehnt hatte. Bren überlegte, wie es sich jetzt noch einrichten ließe, Cenedi, der doch für vernünftige Gedanken aufgeschlossen zu sein schien, wieder ins Spiel zu bringen.
Kälte schlich sich in die Knochen, die Muskeln verkrampften und fingen an weh zu tun. Sinnvoll nachzudenken und Pläne zu schmieden war unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Und zu den Schmerzen kam die Angst, womöglich nie mehr aus diesem Kellerloch herauszukommen, es sei denn durch Verrat an Tabini.
Nein, so nicht. Ausgeschlossen. Daß er hier nun feststeckte, war Folge seiner politischen und persönlichen Haltung Tabini gegenüber, und die hielt er nach wie vor für die einzig richtige. Den Aiji jetzt über die Klinge springen zu lassen wäre eine Bankrotterklärung seiner Arbeit als Paidhi.
Die Hoffnung nicht aufgeben, redete er sich ein. Tabini war ein ausgekochter Kerl, der mit Sicherheit noch irgendeinen Trick auf Lager hatte. Zu dumm nur, daß er nicht fühlte wie ein Mensch und darum auch nicht ahnen konnte, daß er, Bren, aufopferungsvoll für ihn zu kämpfen bereit war. Tabini hatte das Fernsehinterview durchführen lassen und der Welt damit gezeigt, daß auf Bren Cameron Verlaß war. Doch gleich darauf hatte die Gegenseite Agenten losgeschickt, um ihre Forderungen an Ilisidi zu stellen, die sich wahrscheinlich dabei gefiel, Neutralität zu wahren.
Schach. Und matt.
Und er hatte jetzt die Sache auszubaden. Besten Dank, Tabini, dachte er.
Aber wir brauchen dich. Der Frieden hängt davon ab, daß du an der Macht bleibst. Du weißt: Für mich gibt’s Ersatz, einen brandneuen Paidhi, eine neue, unbekannte Größe, an der Numerologen ihre Rechenkünste ausprobieren können. Die sind dann wenigstens wieder beschäftigt, und die Menschen lassen’s sich sowieso gefallen.
Du mieser Kerl, Tabini-ji.
Die Zeit schleppte sich dahin, über Stunden, wie es schien, über Angst und Schmerzen. Die gefesselten Arme waren kalt und taub. Er fand mit den Füßen keinen Halt, um die Schultern zu entlasten, und jede Bewegung tat weh.
Was in Dunkelheit und Stille an Vorstellung wach wurde, brachte wenig Trost. Zuviel Machimi, würde Banichi sagen.
Banichi – der hatte entweder die Seiten gewechselt und damit offenbart, wem sein Man’chi in Wirklichkeit galt, oder aber ihm erging es ähnlich dreckig.
In seiner wildesten Hoffnung sah er Banichi und Jago durch die Tür schleichen und ihn von der Querstange losschneiden, in letzter Minute denen zuvorkommend, die ihn zum Verhör schleppen wollten. Warum ließ die Gegenseite überhaupt so lange auf sich warten? War es ihr vorläufig wichtiger, nach Jago und Banichi zu fahnden? Jagos gehetzter Aufbruch in Reaktion auf Banichis Funkspruch erklärte sich jetzt womöglich als Flucht vor den feindlichen Agenten. Die beiden hatten sich in Sicherheit bringen müssen, um ihn, Bren, in einem günstigen Augenblick befreien zu können…
Ein hübscher Machimi-Plot, aber leider unwahrscheinlich. Die Wirklichkeit war nicht so gnädig. Sie ließ ihn zappeln an schmerzenden Gliedern.
Bis er plötzlich Schritte hörte, auf der Treppe, dann im Vorraum, Schritte von zweien, oder waren es drei Paar Beine, die sich da näherten? Ja, es waren jetzt drei Stimmen zu unterscheiden, doch was sie sagten, verstand er nicht. Seine Angst wich einer seltsamen Gelassenheit. Mochte geschehen, was geschehen mußte. Er ließ den Kopf auf die Brust fallen und schloß die Augen.
Als er wieder aufblickte, sah er einen Schatten in den Türausschnitt treten, eine uniformierte Gestalt mit blinkenden Metallbeschlägen.
»Guten Abend«, sagte Bren. »Oder ist es schon Nacht?«
Die Gestalt wandte sich wieder ab. Hatte sie nur nach ihm sehen wollen? Würden die Kerle jetzt wieder abziehen? Brens Beine fingen heftig zu zittern an; sie zuckten in spastischen Krämpfen, die womöglich, so dachte er entsetzt, als Symptome einer einsetzenden Lähmung zu deuten waren.
Wieder hörte er diese Schritte. Wollte man ihm zusätzlich Angst einjagen mit diesem Hin und Her? Damit hatten sie Erfolg. Er wurde fast verrückt vor Angst, ja, er hoffte, in Wahnsinn
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