Atevi 1 - Fremdling
unseres Planeten.«
»Ihre einzige Hoffnung. Sie waren verzweifelt.« Der Wind drehte und ließ die Glocke verstummen; dann war sie wieder zu hören. »Sie hatten niemals die Absicht, den Atevi Schaden zuzufügen. Das ist die Wahrheit, und die gilt nach wie vor.«
»Wirklich?«
»Als Tabini mich zu Ihnen schickte, riet er mir zur Diplomatie im Umgang mit Ihnen. Ich dachte mir nichts weiter dabei und habe den Rat verstanden als Hinweis darauf, daß Sie womöglich bloß ein bißchen kauzig sind.«
Ilisidi verzog keine Miene, keine, die für Menschenaugen bei diesem trüben Licht zu lesen gewesen wäre. Vielleicht war sie amüsiert; sie hatte schon mehrfach amüsiert reagiert auf seine Bemerkungen. War es der Tee oder das unterkühlte Hirn? Bren empfand keine Angst mehr.
»Darf ich Sie bitten, mir zu sagen, weshalb Sie mich zum Gefangenen machen?« fragte Bren. »Es ist Unsinn anzunehmen, daß auf Mospheira eine Raketenbasis gebaut wird. Allein der geographischen Lage wegen kommt die Insel dafür nicht in Frage. Und es gibt auch keine Schiffe, die aus anderen Gründen auslaufen als zum Fischfang. Also, was ist? Bin ich bloß politische Manövriermasse für Sie?«
»Leider hat meine Sehkraft nachgelassen. Als junge Frau konnte ich Ihre Raumstation mit bloßen Augen ausmachen. Können Sie sie sehen. Von hier aus?«
Er wandte das Gesicht den Bergen zu in Richtung Sonnenaufgang und suchte über den Gipfeln nach dem hellen Stern, der nicht blinkte und das Sonnenlicht reflektierte.
Und er sah die Station, aber anders als sonst. Er glaubte, einer optischen Täuschung aufzusitzen. Um sein Sehvermögen zu prüfen, schaute er auf die schwächeren Sterne in der Nachbarschaft. Die sah er klar und deutlich. Und als er den Blick auf die Station zurücklenkte, war diese seltsame Deformation unverkennbar. Es schien, als gierte die Station, als habe sie ihre Planlage verlassen. Statt rund zeigte sie sich oval verformt.
Wie war das möglich? Er suchte nach plausiblen Erklärungen. Ging der Verfall der Station doch rapider vonstatten als angenommen? Hatte sie ein Sonnensturm aus der Bahn gebracht? Im Kontrollzentrum auf Mospheira war jetzt bestimmt die Hölle los. Man würde Funkspruch um Funkspruch hochschicken und alles daransetzen, um die Station zu retten. Auch den Atevi mußte aufgefallen sein, daß da oben was im Argen war.
Vielleicht hatte sich ein Solarschirm gelöst. Die Station rotierte in soundsoviel Minuten einmal um die Mittelachse. Ein loses Teil, das die Sonne reflektierte, würde sichtbar aufblinken und wieder verdunkeln.
»Nun, nand’ Paidhi?«
Er stand auf und starrte in den Himmel. Bald brannten ihm die Augen in der kalten, zugigen Luft.
Seine Vermutung bestätigte sich nicht; da war kein Aufglimmen und Erlöschen. Diese scheinbare Deformation verharrte. Stand die Station denn etwa still? Der Gedanke entsetzte ihn. Daß ihre Rotation um die eigene Achse über die Jahrhunderte allmählich langsamer werden würde, war als entropisches Phänomen bekannt. Aber, bei Gott, er hatte gehofft, einen solchen Ausgang nicht mehr erleben zu müssen, den Stillstand, der unweigerlich zum Auseinanderbrechen führte, zu einer Katastrophe…
Er trat vor die Brüstung. Sofort war eine der Wachen zur Stelle und legte ihm eine Hand auf die Schulter, als fürchtete sie, daß er sich durch einen Sprung in die Tiefe umzubringen vorhatte. Dabei wollte er nur dem Lichtschein ausweichen, der aus den Fenstern fiel, um besser sehen zu können. Doch er wurde um keinen Deut klüger.
»Vor acht Tagen«, sagte Ilisidi. »Vor acht Tagen ist dieses Ding aufgekreuzt und hat an der Station festgemacht.«
Aufgekreuzt.
Festgemacht an der Station.
O mein Gott…
XI
»Zwischen Mospheira und der Station kommt’s in letzter Zeit gehäuft zu Funkkontakten«, sagte Ilisidi. »Haben Sie eine Erklärung dafür, nand’ Paidhi? Was sehen Sie?«
»Ein Schiff. Unser Schiff… oder irgendeins…«
Er sprach in seiner Sprache. Die Beine wurden ihm weich. Er konnte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen. Gut, daß ihn der Wachmann zurück an den Tisch führte.
Aber nicht zu seinem Stuhl. Er mußte sich vor Ilisidi hinstellen und wurde dort festgehalten.
»Manche sprechen von Verrat, nand’ Paidhi. Wie sagen Sie dazu?«
Vor acht Tagen. Die überstürzte Abreise von Taiben. Das Ausbleiben der Post. Die permanente Beaufsichtigung durch Banichi und Jago.
»Nand’ Paidhi? Sagen Sie mir, was Sie sehen?«
»Ein Schiff«, murmelte er
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