Atevi 1 - Fremdling
in der Landessprache. Ihm war eiskalt. Nur mit Mühe hielt er sich aufrecht. »Es… es muß wohl das Schiff sein, das uns hier abgesetzt hat, Aiji-mai«, stammelte er. »Etwas anderes fällt mir dazu nicht ein.«
»Vielen von uns fällt sehr viel mehr dazu ein, nand’ Paidhi«, entgegnete Ilisidi. »Raten Sie mal, was diese Leute sagen… über das Schiff… über die Menschen? Und, was glauben Sie, kommt wohl in dem Zusammenhang über den Aiji und seinen Paidhi zur Sprache?«
Er blickte wieder zum Himmel auf und dachte, das kann nicht sein…
Dann schaute er auf Ilisidi, den Schatten in der Dämmerung; nur das Silber in ihrem Haar schimmerte und der Zorn in ihren Augen.
»Aiji-mai, ich verstehe das alles nicht. Ich wußte nichts von alledem. Damit war nicht zu rechnen. Mir hat niemand etwas gesagt.«
»Oh, das ist aber sehr unglaubwürdig, Paidhi-ji.« »Bitte.« Er ahnte, es fehlte nicht viel, und die Aiji-Mutter würde ihre Wachen veranlassen, ihn über die Brüstung zu stoßen, um auf atevische Art zum Ausdruck zu bringen, daß der Paidhi in seiner Aufgabe, den Krieg zu verhindern, endgültig gescheitert war. »Nand’ Aiji-Mutter, ich sage die Wahrheit. Damit habe ich nicht gerechnet. Aber ich kann mir jetzt vorstellen, was sich da abspielt. Ich glaube zu wissen, was Sie wissen wollen.«
»Ach ja? Der Paidhi ist doch bloß Dolmetscher.« »Und ein Mensch, Aiji-mai. Ich kann mir denken, was da oben abläuft, denn ich weiß schließlich, was die Menschen in der Vergangenheit getan haben und für die Zukunft anstreben. Was sie auch planen mögen, es ist nicht zum Schaden der Atevi.«
»Hat es uns nicht geschadet, daß die Menschen über uns hergefallen sind? Daß sie sich in unsere Angelegenheiten mischen, unsere Wirtschaft bestimmen, unsere Forschung und nicht zuletzt auch unsere Politik? Sie haben nach eigenem Gutdünken entschieden, welche Neuerungen für uns in Frage kamen; sie haben uns Industrien aufbauen lassen, die vor allem für sie selbst nützlich sind; sie haben unsere Bedürfnisse so pervertiert, daß sie in ihr Konzept paßten, und uns in eine Zukunft gedrängt, die von Fernsehen, Computern und Satelliten beherrscht wird. O ja, wir haben uns an all diese Dinge gewöhnt, verlassen uns darauf… und vergessen darüber unsere eigene Vergangenheit, unsere eigenen Sitten und Gewohnheiten, das, was wir aus eigener Kraft hätten aufbauen können. Sie, nand’ Paidhi, und Ihre Vorgänger haben uns einzureden versucht, daß wir ohne Ihre großzügige Hilfe nicht auskommen können, aber wir lassen uns nicht für dumm verkaufen. Uns ist längst klar, daß Sie auf einem Kurs sind, der uns und unser Wohl nicht im mindesten berücksichtigt. Tabini hat dennoch an Ihnen festgehalten. Und als er erkannte, was da hinter seinem Rücken geschieht, ließ er Sie zu mir kommen, weil er mich für jemanden hält, der noch seinen Verstand beisammen hat und nicht korrumpiert ist durch jahrelanges Fernsehen und Bequemlichkeit. Also, sagen Sie mir die Wahrheit, nand’ Paidhi! Erklären Sie mir, was es mit all den Lügen auf sich hat, und was versprechen Sie sich von dieser Wahrheit da an unserem Morgenhimmel?«
Der Windstoß traf ihn nicht kälter als Ilisidis Wut. Und die war sehr wohl berechtigt. Ihm war durchaus bewußt, daß er Zeit seiner Amtsausübung als Paidhi dazu genötigt war, ein doppeltes Spiel zu treiben und einen schlechten Handel zu fördern, um einen Frieden zu wahren, der nie ein wirklicher Frieden war, um zu retten, was noch halbwegs Bestand hatte, so zum Beispiel dieses Malguri hier, die uralten Mauern, den See, die Traditionen und das Leben auf einer Atevi-Burg, von der der Himmel und die Sterne in unerreichbarer Ferne lagen. Erneut starrte er hinauf auf das helle Licht, bis sich ihm der Blick verschleierte. Der wirbelnde Wind brachte ihn um die Orientierung, um den Sinn für oben und unten; er stand auf Steinen, die er nicht mehr spüren konnte, und glaubte, in den Himmel zu stürzen. Er hatte Angst, war so entsetzt wie die Atevi entsetzt sein mußten über das, was die Menschen dort oben veranstalteten. Aus welchem Grund? Er konnte es nicht begreifen.
»Aiji-mai, ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat; ich weiß nicht, ob es gut ist oder schlecht. Sie könnten mich jetzt töten lassen, doch dadurch wird es bestimmt nicht besser. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Mospheira dafür verantwortlich ist. Zugegeben, wir haben die Atevi bevormundet und Industrien bauen lassen, die uns von Nutzen
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