Atevi 1 - Fremdling
aufzulösen und in kleine Aijinate zu zerfallen drohte, kam ihr doch gerade recht; es entsprach ihrer erklärten politischen Wunschvorstellung. Dagegen hatte er, Bren, ihr immer wieder klar zu machen versucht, wie wichtig der Zusammenhalt der Landesverbände für die Sicherheit Mospheiras war.
Und seine Position wurde hier und jetzt aufs Schlimmste bestätigt.
Ilisidi und Cenedi hatten ihn nicht belegen. Das Flugzeug stand wirklich startbereit auf der Piste. Nein, keiner hatte ihn belogen, und es war ihnen nicht anzulasten, daß die Rebellen den Fluchtplan durchschaut hatten. Immerhin, es tröstete ihn, nicht betrogen worden zu sein. Vielleicht hatte Ilisidi längst schon vorgehabt, nach Shejidan zu gehen und Frieden zu schließen mit Tabini. Was mochte sie daran gehindert haben? Ihn beschlich eine düstere Ahnung, und schwindelnd lehnte er sich mit dem Rücken zur Wand, versuchte, klaren Kopf zu behalten, was nach all den Tagen voller Argwohn und Zweifel kaum möglich zu sein schien. Und doch, er konnte jetzt sicher sein, daß die zugeschnappte Falle nicht aufgestellt worden war von denen, für die er freundschaftliche Gefühle hegte.
Freundschaft, Gefühl… zwei Wörter, die ein guter Paidhi auszuklammern wußte. Doch nüchtern zu urteilen, wie es sein Amt verlangte, war in seiner Verfassung absolut unmöglich. Mit zitternder Hand wischte er die Tränen vom Gesicht und schlich weiter, vorsichtig, am Gemäuer verlassener Häuser dem Ausgang der Gasse entgegen, durch Gestrüpp und an Maschinenschrott vorbei, stets auf der Suche nach einem Versteck und mit der Frage im Kopf, wie lange er noch aushalten mußte und ob zu hoffen war, daß Tabini inzwischen Maidingi eingenommen und seine Truppen nun auch nach Wigairiin in Marsch gesetzt hatte.
Rettung wäre, wenn überhaupt, frühestens in zwei, drei Tagen in Sicht. Zwischen Ruinen versteckt könnte er ausharren. Verdursten würde er nicht. Regenzeit. Und für eine Weile ohne Nahrung auskommen zu müssen war kein Problem, solange er sich nicht anzustrengen brauchte. Er brauchte bloß ein sicheres Versteck, am besten eines, das auch einen geschützten Blick nach draußen zuließ.
Am Rand der Piste sah er einen Rest des alten Walls und davor aufgestapelt ein paar alte Fässer, Behälter für Öl oder Treibstoff, was auch immer, jedenfalls dem Anschein nach lange nicht benutzt, denn das Gras ringsum war hoch aufgeschossen. Dort würde man nicht so schnell nach ihm suchen; die Feinde wähnten ihn wahrscheinlich in der Nähe des Tors, ihnen auflauernd.
Plötzlich sah er sich wieder im Kellerloch stecken; das reale Bild verschwamm ihm vor Augen, und er langte zur Mauer, um sich aufrecht zu halten, neu zu orientieren. Er mußte alle Sinne zusammennehmen, aufpassen, wohin er die Füße setzte. Das Terrain war verwahrlost, voller Müll und Schutt, Maschinenteile, vermodertes Bauholz und Bruchsteine.
Der uralte Wall sei dem Rollfeld gewichen, hatte Ilisidi gesagt. Hier scherte man sich nicht um Altertümer.
In der Hinsicht war Ilisidi ganz anders eingestellt. Bren hatte sich mit ihr unterhalten über Artenschutz und die Notwendigkeit, geschichtliches Erbe zu konservieren, Landesschätze zu hüten, die jetzt bedroht waren durch Bomben und Bürgerkrieg – aus Angst vor den Menschen und Tabini-Aiji, der mit ihnen angeblich gemeinsame Sache machte und den Posten besetzte, um den Ilisidi seit Jahren kämpfte.
Wi’itkitiin, die sich von Felsklippen in die Tiefe stürzen…
Atevische Denkmäler, eingeebnet, damit sich eine vermeintlich fortschrittliche Provinzfürstin den Weg zum Flughafen nach Maidingi ersparen konnte.
Bren erreichte die Fässer, ertastete schrundigen Rost, ging zu Boden und kroch in den Spalt zwischen Mauer und Tonnen, lag dann still auf feuchtem Gras.
Wußte für einen Moment nicht, wo er war. Er fand einen Ausguck, eine Lücke zwischen zwei Fässern, sah aber bloß Sträucher und wildwucherndes Kraut. Das Herz pochte so heftig, daß es die Brust zu zerreißen drohte. Doch er fühlte keinen Schmerz, nichts von dem, was ihn tagsüber gequält hatte. Der Regenumhang hielt einigermaßen warm.
Er hatte ein Versteck gefunden. Hier konnte er bleiben, konnte getrost die Augen schließen, ausruhen, abschalten.
Doch die Gedanken kreisten weiter. Er wünschte, sich klüger verhalten zu haben, wußte aber nicht, was er wann anderes hätte tun können. Immerhin lebte er noch und war bislang unentdeckt geblieben, was manchen der sehr viel gewiefteren Männern
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