Atevi 1 - Fremdling
Wahrscheinlichkeit nach bloß ein Verrückter oder ein Amateur ohne Lizenz, einer, der Fehler machte, weniger gezielt zu Werke ging und damit auch Leute in Gefahr brachte, auf die er es gar nicht abgesehen hatte, in der Hinsicht also äußerst bedrohlich war.
Banichi hatte – als einer von wenigen – eine Lizenz, so auch Jago. Mit denen legte sich keiner an. Der Eindringling konnte von Glück reden, daß seine Spuren im Garten vom Regen verwischt worden waren, es sei denn, er hatte klugerweise den Wetterumschwung mit ins Kalkül gezogen.
Wie dem auch sei, glücklich konnte man ihn jetzt nicht mehr nennen, denn Banichi war hinter ihm her, und es würde ihm dreckig ergehen, wenn der ihn zu fassen bekäme.
Der Gejagte durfte es unter anderem nicht wagen, zu einem Arzt zu gehen, obwohl er den nötig zu haben schien; die Blutspuren zeugten davon. Auf den beherzten Empfang, den Bren ihm bereitet hatte, war der Attentäter offenbar nicht gefaßt gewesen. Recht so, daß er jetzt in der Klemme steckte, dachte Bren; und er hoffte, daß auch der Auftraggeber, wenn es einen gab, in arge Verlegenheit geriet und sich genötigt sähe, den Vertrag zurückzuziehen.
Die Türen öffneten sich. Die Wachen und Hofdiener ließen die Menge eintreten. Der Sekretär nahm vom Marschall einen Berg von Petitionen, eidesstattlichen Erklärungen und Anträgen entgegen.
Zwischen den praktischen Gewohnheiten der Atevi und den technischen Gegebenheiten, die von den Menschen zur Verfügung gestellt worden waren, hatten sich im Laufe der Zeit seltsame Schnittstellen entwickelt. Den Atevi war gewiß nicht vorzuwerfen, daß sie krampfhaft an überkommenen Traditionen festhielten und bloß solcher Traditionen zuliebe weiterhin darauf bestanden, ihr Anliegen in Form solcher unhandlichen Schriftstücke vorzutragen. Computer waren längst in Gebrauch und wurden von den Sekretären zur Datenverarbeitung genutzt.
Aber wie sollten sich Atevi an Personencodes oder Aktenzeichen gewöhnen? Wer sie dazu bewegen wollte, würde sie zunächst davon überzeugen müssen, daß solche Zahlen und Ziffern ohne magische Bewandtnis waren. Und es müßte ihnen begreiflich gemacht werden, daß die willkürliche Veränderung solcher Zahlen zu einem Chaos in der Verwaltung führte. Ein Ateva gab sich mit einer vom Computer bestimmten Nummer beileibe nicht immer zufrieden und drängte auf sofortige Korrektur, wenn er diese im Sinne seiner Numerologie für ungünstig erachtete.
Zahlen zu erzeugen, nur um einem Computer die Arbeit zu erleichtern, galt allenthalben als eine abstruse Sinnlosigkeit. Manche äußersten sogar den Verdacht, daß der Hof in Shejidan mit der computergestützten Datenverarbeitung die heimliche Absicht verfolge, Bedeutung und Einfluß der Provinzen zu unterminieren, und daß der Aiji heimlich mit den Menschen konspiriere, die dieses heimtückische Gerät auf die Welt gebracht hatten.
Nicht alles, was von den Menschen stammte, wurde mit soviel Argwohn betrachtet. Auf das Fernsehen zum Beispiel wollte keiner mehr verzichten. Auch die Fliegerei fand immer mehr Zuspruch, obwohl sie mit erschreckend fahrlässiger Unbekümmertheit betrieben wurde, woran auch die gesetzlichen Maßnahmen zur Regulierung des Luftverkehrs nur wenig ändern konnten, die der Aiji nach der schrecklichen Katastrophe an der Weinathi-Brücke verordnet hatte.
Den Göttern der Atevi sei Dank, daß Tabini-Aiji ein nüchtern denkender und völlig unreligiöser Mann war.
Jedem Bittsteller stand für den Vortrag seines Anliegens eine bestimmte Zeit zu Verfügung, bemessen nach dem Durchlauf einer Sanduhr. Im großen und ganzen ging es um Landwirtschaftliche Probleme, aber es gab auch Fragen, die den Handel betrafen oder einzelne Bauprojekte, die – wie der Straßen-, Staudamm- oder Brückenbau – Hoheitsrechte tangierten und darum die beiden Häuser der Legislative passieren mußten: das Hasdrawad und das Tashrid. Der Aiji hatte zwar keinen Einfluß auf das Genehmigungsverfahren, doch von seiner Billigung hing ab, ob das geplante Projekt überhaupt zur Vorlage kam.
Darüber hinaus bot der Aiji im Rahmen seiner Audienzen an, Streitigkeiten zu schlichten. Heute standen zwei solcher Fälle an. In einem Fall ging es um ungeklärte Besitzverhältnisse zwischen einer Frau und ihrem Ex-Mann.
»Es ist besser, mit dieser Sache vor Gericht zu gehen«, sagte Tabini. »Sie können sich auszahlen lassen, in Raten, die von seinem Einkommen abgezogen werden.«
»Lieber würde ich ihn
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