Atevi 1 - Fremdling
Blamage und die Bedrohung an Leib und Leben, die ihn hierher verschlagen hatte, zweitausend Meilen von Mospheira entfernt, in diese beeindruckend schöne Gegend, die vor ihm kein Mensch gesehen hatte. Die Mecheiti aus den Machimi-Spielen waren hier so echt und wirklich wie der Staub, die Blumen und die Sonne.
Noch nie in seinem Leben – nicht einmal in Taiben – hatte er eine solche Stille wahrgenommen, wie sie hier auf dem Lande herrschte; nein, nicht Stille war es, sondern das völlige Fehlen von maschinellen Geräuschen, die er in der Stadt Tag und Nacht zu hören gewöhnt war. Statt dessen drangen Laute an sein Ohr, auf die er so noch nie geachtet hatte: das Sausen des Windes, das Knarzen von Leder; die metallenen Teile am Zaumzeug klirrten, Kieselsteine knirschten unter den Hufen, und das Gras wisperte. Was er in Shejidan nie zur Kenntnis nahm, wurde ihm hier als Nichtvorhandenes bewußt: das Sirren der Starkstromleitungen, die monotone Geräuschkulisse einer Stadt.
Tief unten, perspektivisch verkleinert, lag Malguri. Dieser Blick auf die Burg war gewiß nur wenigen vergönnt. Weit und breit war keine ausgebaute Straße, kein Schienenweg und keine Behausung zu erkennen.
Bren verlor sich in der Zeit. In seiner Vorstellung sah er Szenen aus Machimi-Spielen, im Wind flatternde Banner, Heerscharen, die Festung belagernd und zum Sturm bereit, Verrat und Hinterhalt, Assassinen innerhalb der Mauern, deren Einsatz weniger verlustreich war als eine offene Schlacht.
Auch die Typen solcher Stücke waren festgelegt und immer ähnlich: der ahnungslose Aiji, der die Gefahr hätte erkennen müssen, die aus einem uralten Konflikt neu erwachsen ist; sein Gegenspieler, der zum Kampf ruft; und der Assassine, dessen Man’chi im unklaren bleibt. Man hört das Knattern der Fahnen im Wind, das Klirren und Klacken schwerer Rüstungen… Vergangenheit, Atevigeschichte, die in Machimi-Spielen und im Fernsehen wachgerufen wurde.
Bren war gefangen von der Atmosphäre, von der Suggestionskraft und Vielfalt der Eindrücke, die ihm eine Erfahrung von Wirklichkeit vermittelten, zu der es in Shejidan oder Mospheira keinen Vergleich gab.
In hundert Jahren würde es diese Welt so nicht mehr geben, denn Zukunft war nicht mehr allein Sache der Atevi, seit ihnen von Mospheira Eisenbahnen und Kommunikationssatelliten zur Verfügung gestellt wurden und Flugzeuge, die so hoch und so schnell über das Land hinwegdüsten, daß es seinen Passagieren unmöglich war, Malguri auszumachen, jenen Ort, an dem die rein atevische Geschichte zu Ende ging.
»Haben Sie sich mit Banichi abgesprochen, Nadi?« fragte er Cenedi, der an seiner Seite ritt. »Ich möchte nicht in eine Falle tappen, die zur Sicherheit installiert worden ist.«
Cenedi warf ihm einen flüchtigen, ausdruckslosen Blick zu. »Das möchten wir auch nicht.«
Typisch, diese Antwort. Wenig hilfreich und beliebig auslegbar. Sollte der Paidhi nichts wissen von den getroffenen Sicherheitsvorkehrungen? Oder hatte Cenedi selbst keinen Überblick?
Die beiden Männer, die gleich nach dem Aufbruch vorausgeritten waren, hatten nichts von sich hören oder sehen lassen. Wahrscheinlich waren sie jenseits der Anhöhe. Aber Babs wußte ihre Spur zu lesen, so auch Nokhada, die immer wieder die Nüstern zu Boden senkte. Bren hatte sich inzwischen darauf eingestellt, daß sie ab und zu ruckhaft die Richtung wechselte oder einen Schritt zulegte.
Mecheiti ließen sich nicht von ihrer Fährte abbringen oder gar in die Irre führen. Das mußte auch jedem Assassinen bekannt und eine Warnung sein, dachte Bren.
Und alles sprach dafür, daß der Stromausfall auf Malguri durch einen Blitzschlag verursacht worden war, zumal anscheinend ein Teil der Ortschaft im Tal auch davon betroffen war.
Ilisidi hatte gefragt, ob er trotz der Unruhen in der Nacht gut geschlafen habe… nein, von einer aufregenden Nacht< war die Rede gewesen.
Worauf hatte sie angespielt? Auf den Stromausfall? Oder auf den Schuß und Tanos nervösen Finger am Abzug?
Weder Banichi noch Jago hatte erkennen lassen, ob er oder sie über den geplanten Jagdausflug im vorhinein informiert gewesen waren. Entweder harten sie nichts davon gewußt oder darauf vertraut, daß er sich als Paidhi richtig zu verhalten wisse.
Tabini, der die Aiji-Mutter besser kannte als irgendein anderer, hatte ihm den Rat gegeben, im Umgang mit Ilisidi diplomatisch zu sein.
Ilisidi zügelte ihr Mecheita und hielt vor einer abschüssigen Strecke Wegs an. »Von hier«,
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