Atevi 1 - Fremdling
Bren warf einen Blick über die Schulter und sah, wie die Wache das Beutetier vom Boden hievte.
Was Bren in Fernsehübertragungen von Machimi-Spielen gesehen und für dramatische Übertreibung gehalten hatte, zeigte sich hier bestätigt. Mecheiti waren blutrünstige Bestien, die, wenn man sie gewähren ließ, flüchtiges Wild mit ihren Stoßzähnen zerfleischten. Nur das nicht, dachte er unter dem Eindruck der entsetzlichen Vorstellung davon, im Staub zu liegen, schutzlos ausgeliefert diesen Hufen, diesen Stoßzähnen, die in Kriegszeiten von ihren stumpfen Goldkappen befreit wurden.
Dem Versprechen Cenedis, daß er in Sicherheit sei, traute Bren immer weniger. Er erinnerte sich, von Babs, dem Mecheit’-Aiji, beschnüffelt worden zu sein, und dieser, für das Tier fremde, einzigartige Geruch würde seinem Spürsinn auf immer verhaftet sein, wahrscheinlich sogar dem Gemeinsinn des Artenverbandes – wenn man den Experten Glauben schenken konnte, die behaupteten, daß nicht nur die Atevi, sondern auch das ganze Tierreich verbandsmäßig organisiert war.
Politik. Vierbeiner-Politik. Biologen und Verhaltensforscher auf Mospheira hatten entsprechende Phänomene am Beispiel vieler Arten feststellen können, doch keine reichte an diese Mecheiti heran, diese Allesfresser, die im Rudel jagten und niedermachten, was ihnen in die Quere kam.
Bren konnte seine Beine kaum mehr bewegen. Er zitterte am ganzen Leib. Adrenalin, dachte er.
Die Jagd, der Schuß, das ganze Drumherum waren ihm zuviel. Alles drängte in gleicher Intensität und ungefiltert auf seine Sinne ein wie bei einem Irren, der, von Reizen überflutet, durchdreht und nicht mehr ein noch aus weiß.
Derjenige, der die Beute geborgen hatte, überholte ihn und den Troß auf diagonalem Hanganstieg. Hinterm Sattel hing schlaff und quer zur Kruppe seines Mecheita ein kleines, zierliches Tier mit baumelndem Kopf und großen Augen, ähnlich denen der Trophäe an der Wand, aber ganz und gar nicht wütend, sondern sanft und verwundert. Aus der schwarzen, feingeformten Nase tropfte Blut. Nein, mit der Aiji-Mutter zu Abend zu essen kam für Bren nicht in Frage.
Er hatte seine Fleischgerichte lieber verarbeitet, zu einem Würstchen etwa, das das geopferte Geschöpf nicht mehr erkennen ließ. Tabini sprach in diesem Zusammenhang von einer moralischen Fehlhaltung. Was er, Bren, Zivilisation nannte, bezeichnete Tabini als Illusion. Er würde sagen: Sie essen Ihr Fleisch unzeitgemäß, in Mißachtung natürlicher Rhythmen. Sie essen, was nie frei umherlaufen konnte. Und das soll zivilisiert sein?
Der Troß ritt eng beieinander. Erneut beglückwünschten alle die Aiji-Mutter zum Jagderfolg. Ilisidi sagte, daß man nun, da fürs Essen gesorgt sei, den Ausritt genießen möge.
Bei langsamerer Gangart, hoffte Bren. Die Beine taten ihm weh, und als er versuchte, einen bequemeren Sitz auf dem ungewohnten Sattel einzunehmen, trat er aus Versehen Nokhada in die Flanke, worauf sie zur Seite hin ausbrach und bergab stob. Bren hatte große Mühe, sie abzufangen und auf den Weg zurückzuführen.
»Nand’ Paidhi?« rief Cenedi.
»Wir kommen«, antwortete er. Mit ›wir‹ meinte er vor allem Nokhada. Das Tier hatte seinen eigenen Willen und brachte den unmißverständlich zum Ausdruck mit angelegten Ohren und selbstbestimmter Gangart.
»Was ist passiert?« wollte Cenedi wissen, als Bren zu ihm aufgeschlossen hatte.
»Das müssen wir noch unter uns klären«, murmelte Bren. Doch Cenedi sah Veranlassung zu einem kurzen Nachhilfeunterricht und erinnerte: mit den Füßen lenken, mit den Zügeln Aufmerksamkeit verlangen und notfalls zur Ordnung zwingen. Nur ja nicht vor die Nase stoßen und nicht in den Nacken fallen. Ein Tritt in die linke Flanke führt nach rechts, in die rechte nach links. Ein leichtes Zupfen am Zügel bringt das Tier auf Trab. Wenn es langsamer gehen soll, fester ziehen. Und treten Sie ein Mecheita niemals in die Rippen.
»Sind die Steigbügel in der richtigen Länge?« fragte Cenedi.
»Um ehrlich zu sein, Nadi, ich habe keine Ahnung.«
»Sagen Sie Bescheid, wenn die Beine zu krampfen anfangen.«
Zur Zeit fühlten sich die Beine wie Gummi an, was Bren auf seine Angst und die Erschöpfung der Muskulatur zurückführte. Er war solche Strapazen nicht gewöhnt.
Cenedi scherte vom Pulk aus und führte sein Mecheita steil bergan, der Steilküste entgegen. Ab und zu und ohne einen Schritt auszulassen senkte es den Kopf, um den Boden zu beschnuppern. Immer wieder hob es
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