Atevi 1 - Fremdling
sagte sie und deutete mit ausgestrecktem Arm ringsum, »können Sie drei Provinzen sehen: Maidingi, Didaini und Taimani. Wie finden Sie mein Land?«
»Wunderschön«, antwortete er ehrlich.
»Mein Land, nand’ Paidhi.« Ilisidi sagte nichts ohne Hintergedanken.
»Ihr Land, Nai-ji. Ich gestehe, daß ich ungern nach Malguri gekommen bin. Jetzt bin ich froh, hier zu sein. Wo hätte ich sonst Gelegenheit gehabt, ein Wi’itkiti mit eigenen Augen zu sehen oder auf einem Mecheita zu reiten?« Im Moment stimmte er dem, was er äußerte, innerlich zu; er genoß es, seine Aufpasser Banichi und Jago für eine Weile abgeschüttelt zu haben und befreit zu sein von den einengenden Verpflichtungen, die ihm als Paidhi auferlegt waren. »Aber Banichi wird mich umbringen, wenn ich zurückkehre.«
Ilisidi sah ihn von der Seite an; ihre Mundwinkel zuckten.
Atevi nahmen immer alles wörtlich. »Das meine ich natürlich nur im übertragenen Sinn, Nai-ji«, fügte er hinzu.
»Sie vertrauen meinem Enkel, nicht wahr?«
»Sollte ich zweifeln, Nai-ji?« Die Frage war zwar an die richtige Adresse gestellt, doch eine verläßliche Antwort war von ihr nicht zu erwarten. Wem ihr Man’chi galt, schien niemand so recht zu wissen. Auch nicht Banichi und Jago, denn sonst hätten sie ihn darüber aufgeklärt.
Nun, gleiches traf auf Tabini zu. Das war bei allen Aijiin der Fall. Ob sie ein Man’chi hatten, blieb ein Geheimnis.
»Tabini ist ein zuverlässiger Bursche«, sagte Ilisidi. »Jung, sehr jung. Glaubt, daß sich durch Technik alles bewältigen läßt.«
Bren wußte nicht recht, was er von dieser Bemerkung halten sollte. »Verzeihen Sie, aber das trifft so nicht zu, Nai-ji.«
»Ist es nicht so, daß der Vertrag jegliche Einmischung in unsere Angelegenheiten verbietet?«
»Allerdings.« Verflixte Wendung. Das Gespräch stand auf der Kippe. »Dazu stehe ich, oder habe ich Ihnen etwa einen gegenteiligen Eindruck vermittelt? Wenn ja, wodurch? Bitte, sagen Sie’s mir.«
»Hat mein Enkel Ihnen denn etwas Derartiges gesagt?«
»Ich schwöre Ihnen, Nai-ji, wäre mir von ihm Einmischung vorgeworfen worden, hätte ich mich sofort zurückgenommen.«
Schweigend setzte sie ihr Mecheita in Bewegung und ritt weiter. Bren folgte auf gleicher Höhe und hatte Zeit darüber nachzudenken, ob er in den diversen Ratsversammlungen etwas gesagt oder gefordert hatte, was als Einmischung interpretiert werden könnte.
»Bitte, Aiji-ji, nehmen Sie kein Blatt vor den Mund. Haben Sie Einwände gegen das, was ich vertrete?«
»Was für eine seltsame Frage«, erwiderte Ilisidi. »Warum sollte ich darauf antworten?«
»Weil mir daran gelegen ist, Ihre Bedenken, wenn Sie denn welche haben, zu erfahren und verstehen zu lernen – nicht um dieses Wissen gegen Sie zu verwenden; im Gegenteil, ich will Ihre Interessen kennenlernen, um sie respektieren zu können. Übrigens, ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß unsereins auf den Einsatz von Assassinen verzichtet. So etwas kommt für uns nicht in Betracht.«
»Für uns aber, und sei es, daß Sie, der Paidhi, in Ihrer Position unangefochten bleiben.«
Er kannte dieses Argument, hatte es oft genug von Tabini gehört. Ach, wie gern würde er sich jetzt mit ihm unterhalten können. Er war der einzige weit und breit, der auf seine Fragen Antwort gab.
Wie so oft in den Stunden seit seiner Ankunft auf Malguri fühlte er sich wieder einmal völlig fehl am Platz. Soeben noch hatte er sich erfreut an Natur und Panorama, doch jetzt zweifelte er wieder an sich und seinen Möglichkeiten, erkannte, wie isoliert er war.
»Verzeihen Sie meine Frage«, sagte er zu Ilisidi. »Aber der Paidhi weiß nicht immer richtig einzuschätzen, in welchem Verhältnis er zu Ihren Angelegenheiten steht. Ich wünschte, daß Sie eine gute Meinung von mir haben, Nai-ji.«
»Was hoffen Sie, als Paidhi bewirken zu können?«
Mit dieser Frage hatte er jetzt nicht gerechnet, war aber vorbereitet, da er darauf schon oft bei anderer Gelegenheit hatte antworten müssen. »Atevi und Menschen einander näherzubringen auf dem Weg technologischen Transfers und in einem für beide Seiten gangbaren Tempo.«
»Das ist mühsam und langwierig, vorgegeben durch den Vertrag. Seien Sie weniger bescheiden. Sagen Sie mir doch lieber, auf welche großartige Leistung Sie am Ende Ihres Lebens zurückblicken möchten. Was für ein segensreiches Erbe möchten Sie als weiser Mensch den Atevi hinterlassen?«
Trotz ihrer ironischen Formulierung versuchte er die
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