Atevi 2 - Eroberer
getrocknet waren, erklärte sich sein Retter bereit, ihn mit dem Geländewagen ins Tal zu chauffieren.
Er wolle auch einmal Ranger werden, vertraute er dem Ranger an und bedankte sich noch einmal dafür, daß er ihm zur Hilfe gekommen war. Nichts für ungut, entgegnete der Mann; er gehe den Weg oft und gern, selbst bei Eis und Schnee. Dann ließen sich besonders schöne Fotos schießen. Und er erklärte ihm, welche Ausrüstung man in den Bergen braucht. Wenn er, Bren, größer sei, könne er ja einmal am Sommerprogramm der Ranger teilnehmen.
Doch dazu war es nie gekommen. In den darauffolgenden Jahren hatte seine Familie den Urlaub immer woanders verbracht, an den Nordhängen von Mt. Allen Thomas, wo er und Toby ihren Spaß am Skifahren entdeckten.
Ausgelöst hatte diese Erinnerung Saidins Empfehlung, die Wassergärten von Saisuran zu besuchen. Auch Atevi fanden Gefallen an solchen Dingen. Es gab sehr wohl einiges, wovon beide Seiten, Menschen und Atevi, gleichermaßen angesprochen wurden, Reize, die vergleichbare Reaktionen auslösten: zum Innehalten zwangen und grenzenloses Staunen hervorriefen.
Das Bad in der Erinnerung hatte ihm gut getan, und in launiger Anwandlung dachte er daran, die Vermittlungsstelle auf Mospheira zu bitten, ihm eine Telefonverbindung mit der Rangerstation in den Bergen zu schalten. Die Geheimdienste auf beiden Seiten der Meerenge würden gewiß lange über ein solches Gespräch zu rätseln haben. Sie konnten schließlich nicht ahnen, was ihn dazu bewegte, nämlich die Hoffnung darauf, daß zumindest seine Erinnerungen noch intakt und verläßlich waren. Er versuchte nachzurechnen, wie alt dieser Ranger jetzt wohl sein mochte. Seinen Namen hatte er vergessen – seltsam, wo er sich doch gerade Namen so gut merken konnte.
Seltsamer noch: Obwohl er all die Jahre nicht mehr an ihn gedacht hatte, fürchtete er nun, womöglich, wenn er denn anriefe, erfahren zu müssen, daß dieser Mann schon längst nicht mehr lebte und daß nichts mehr so war wie damals.
Und es war wie immer diese Feigheit vor der Möglichkeit einer Enttäuschung, die ihn abschreckte zu tun, wozu er spontan Lust hatte.
Manchmal fragte er sich, ob in dem Korsett aus Vorsicht und Zurückhaltung, das er sich selbst angepaßt hatte, überhaupt noch etwas von jenem Wesen namens Bren Cameron zu finden war, von seinen Träumen als Kind und den Ambitionen seiner Jugend. Aus dieser Vergangenheit schien er gezielt immer nur solche Erinnerungen aufkommen zu lassen, die ihn seiner aktuellen Wirklichkeit versicherten. Warum, zum Beispiel, wich er den Gedanken an alte Freunde aus? Womöglich aus demselben Grund, der ihn davon abhielt, in Erfahrung zu bringen, was aus diesem Ranger geworden war. Damit der Rest an Identität nicht auch noch verlorenging, mußte die Vergangenheit intakt bleiben, unangetastet, also war es besser, nicht daran zu rühren – zumal er hier auf dem Festland ohnehin nicht viel damit anfangen konnte. Denn wozu sollten Erinnerungen und Erfahrungen taugen, wenn nicht als Hilfe zur Bewältigung konkreter Aufgaben? Nur darauf kam es doch an.
Bren hörte Schritte in der Halle und merkte auf. Saidin war gekommen, um ihn zu Tisch zu bitten. »Immer noch so nachdenklich«, sagte sie. »Immer noch nicht fertig mit der Arbeit«, antwortete er und dachte an sein Vorhaben, Ilisidi einen Brief zu schreiben.
Nur, was hatte er ihr noch zu sagen? Ich bin untröstlich und bitte um Verzeihung… Es tut mir so leid, daß ich mit meiner Absicht zu helfen nur Schaden angerichtet habe…
Es fielen ihm keine passenden Worte ein; er konnte sich nicht konzentrieren und driftete in Gedanken zurück vor das tosende Wasser, die stiebende Gischt, und die Haut fühllos vor Kälte. Er hätte diese Taubheit als Warnsignal verstehen müssen, nahm aber von nichts anderem Notiz, als von den Farben und Geräuschen der Umgebung. Von der tödlichen Gefahr ahnte er nichts. Er hatte noch nicht den Sinn dafür, auf seine körperlichen Reaktionen zu achten.
Mit der Zeit, so hieß es, werde man klüger. Zumindest bildete man sich das ein.
17
Zu Abend aß er ganz allein. Algini hatte Dienst, und Tano war wieder einmal in Sachen Büro unterwegs; darauf verwendete er über Gebühr viel Zeit. Banichi und Jago hatten sich auch noch nicht zurückgemeldet, und es war ausgeschlossen, Saidin zu bitten, ihm beim Essen Gesellschaft zu leisten. Er war allein mit seinen Sorgen, formulierte in Gedanken an dem Brief, den er zu schreiben hatte, fragte
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