Atevi 2 - Eroberer
Porzellan.
Es fiel ihm ein, daß er unbedingt noch heute abend Mospheira anrufen und seiner Einsatzleitung Meldung erstatten mußte. Fraglich aber, ob er dazu noch die Kraft haben würde.
Fraglich war auch, ob es überhaupt klug wäre, anzurufen oder auch bloß einen Anruf entgegenzunehmen, eingedenk der Tatsache, daß man Hanks noch nicht zurückgerufen hatte. Denn er mußte fürchten, daß von ganz oben Druck auf sein Büro ausgeübt wurde. Womöglich würde er sich abspeisen lassen müssen mit der Aufforderung, weitere Entscheidungen abzuwarten bis über den Fäll Hanks beraten worden sei.
Verflixt, die Atevi rechneten damit, daß er, der Paidhi, mit allen Amtsvollmachten ausgestattet war. Der Aiji von Shejidan würde sich mit ihm nicht abgeben, wenn er wüßte, daß seinem Paidhi die Hände gebunden waren.
Praktisch blieb ihm zur Zeit nichts anderes übrig, als die Ohren aufzusperren und Mutmaßungen anzustellen.
Aber was soll’s, dachte er. Selbst Wilson-Paidhi, sein Vorgänger und das ehemalige Aushängeschild für Integrität, hatte, wenn es sein mußte, auf eigene Faust gehandelt, ohne den Segen der Behörde.
Die Halle, durch die sie nun gingen, war von erschlagender Pracht. Ihm wurde schwindelig angesichts der goldgemusterten Teppiche und pastellfarbenen Blumenbouquets. Er wollte auf dem schnellsten Weg ins Bett, bewußtlos schlafen.
Und er wollte nicht eher aufwachen, bis der Arm ohne Schmerzen und sein Kopf wieder klar sein würde, fähig zu vernünftigen Überlegungen darüber, wie sich der Frieden zwischen Menschen und Atevi retten ließ.
Ach, wie gern hätte er mehr Zeit für sich zu Hause gehabt. Er hatte sich so gewünscht, wenigstens einen Tag lang mit Bruder Toby verbringen zu können, auf dessen weißgestrichener Veranda zu sitzen, aufs Meer hinauszublicken und einfach abzuschalten.
Es hatten schon andere Paidhiin vor ihm als Feuerwehr einspringen und in Blitzaktionen dafür sorgen müssen, daß die Macht des Aiji von Shejidan erhalten blieb. Aber noch nie war ein Paidhi so unvorbereitet, so rückhaltlos zum Einsatz getrieben worden.
Himmel, dachte er, als ihm seine Lage in voller Schärfe bewußt wurde, und versuchte sich zu erinnern, was er vor dem Ausschuß gesagt hatte, was ihm womöglich falsch ausgelegt werden könnte. Aber er fand nicht zurück, seine Gedanken zerliefen in heilloser Verwirrung.
Sie erreichten die Tür zu seiner Wohnung. Jago steckte den Schlüssel in ein gesichertes Schloß, das Unbefugten, die sich Zugang zu verschaffen suchten, zum Verhängnis werden würde.
Tano erwartete sie im Foyer. Eine willkommene Überraschung. Bren hatte seinen Diener zuletzt auf Malguri gesehen, und nach all den Schrecken und Turbulenzen der vergangenen Tage freute es ihn um so mehr, Tano bei guter Gesundheit anzutreffen. Tano gehörte wie Banichi und Jago zur Sicherheitsmannschaft des Bu-javid, und er blickte ähnlich grimmig und gefährlich drein wie seine Kollegen. Gut zu wissen, daß er, von Tabini beauftragt, auf Seiten des Paidhi stand, genauer gesagt auf Banichis Seite, seinem Vorgesetzten, der außerdem einer der ranghöchsten Vertreter der Assassinengilde war.
»Ihre Sachen sind schon eingeräumt, nand’ Paidhi«, sagte Tano. »Und Ihr Computer ist sicher verwahrt.«
»Besten Dank, Nadi. Es tut mir sehr leid, daß Sie meinetwegen in Schwierigkeiten geraten sind. Aber es wird nun hoffentlich friedlicher zugehen, was auch Ihren Dienst vereinfachen dürfte.«
Tano nahm ihm den Umhang von den Schultern. »Das wäre zu wünschen, nand’ Paidhi.« Von Saidin gefolgt, trat ein anderer herbei, der Tano den Umhang abnahm und ihn auf Saidins Befehl hin zur Reinigung brachte. »Es sind Briefe für Sie gekommen«, sagte Saidin und zeigte auf den kleinen Tisch neben der Tür. In einem silbernen Ablagekorb lagen mehrere zylindrische Versandetuis aus fein ziseliertem Silber, darunter auch ein Schreiben, das einfach nur eingerollt und versiegelt war.
»Der Paidhi ist sehr erschöpft, Nadi«, erbarmte sich Banichi. Bren dankte ihm im stillen. Er wollte schlafen und möglichst nicht daran denken müssen, wer ihm, kaum daß er nach Shejidan zurückgekehrt war, schon Post zustellen ließ, hatte er doch soeben erst mit den Vorsitzenden aller wichtigen Ausschüsse konferiert. Wer hatte es da bloß so eilig mit seiner Mitteilung an ihn, den Paidhi, der durch seine Unterbringung in der Residenz der Atigeini offenbar und für alle Bewohner des Bu-javid sichtbar an Bedeutung hinzugewonnen
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