Atevi 2 - Eroberer
mit Hanks’ Erklärung etwas anzufangen weiß und möglicherweise das Paradoxon aufzulösen versteht, das die Deterministen dieser Erklärung unterstellen. Vielleicht haben wir’s bloß mit einem sprachlichen Problem zu tun.«
»Es wird zur Kontroverse kommen.«
»Sagen diese Leute immer noch die Zukunft voraus? Das würde mich überraschen.«
»Manche versuchen’s.«
Bren nippte an seinem Likör und stellte fest, daß ihm die Hand zitterte. Vor Müdigkeit, wie er vermutete. Mit der Antwort, die er gefunden zu haben glaubte, ergab sich ein weiteres Problem. »Ich kann Ihnen versichern, daß unsere Daten solche Prognosen nicht zulassen«, sagte er und dachte im stillen, daß Astrologie für manche Atevi wohl immer noch sehr viel interessanter sein mochte als Astronomie und daß die gelehrteren Atevi möglicherweise Anstoß nehmen könnten an seiner Bitte um terminologische Klärung. »Wir verfolgen mit unserer Sternkunde sehr viel praktischere Zwecke als den der Wahrsagerei. Und ich kann mir vorstellen, daß manche Atevi ähnlich orientiert sind. Zum Beispiel dieser alte Mann.«
»Seine Arbeiten und die seiner Mitstreiter werden in Universitätskreisen mit großem Argwohn bedacht, Bren-ji.«
Das war keine gute Nachricht. »Wissen Sie warum?«
Banichi nahm einen Schluck und holte tief Luft. »Weil sie, wie ich gehört habe, ständig mit anderen Zahlen aufwarten.«
»Banichi, die Sterne bewegen sich. Alles bewegt sich, auch unsere Warte, aus der wir den Himmel beobachten. Darauf haben wir doch schon so oft aufmerksam gemacht.«
»Davon verstehe ich nichts«, sagte Banichi.
»Der Planet, auf dem wir leben, dreht sich um die Sonne. Für seinen Kreislauf braucht er ein Jahr. Um die wahren Daten eines Sterns ermitteln zu können, muß man diesen Kreislauf mit berücksichtigen und mehrere Messungen durchführen, zum Beispiel mal im Sommer, mal im Winter, wenn unser Planet seine jeweiligen Wendepunkte durchläuft. Aber solche Messungen sind immer ungenau, Banichi. Es geht um riesige Entfernungen, um große Zahlen, und die haben nichts mit Wahrsagerei oder Philosophie zu tun. Sterne sind Körper aus brennendem Wasserstoff, weiter nichts.«
»Wozu sollten die dann gut sein?«
»Die Sonne ist für uns doch sehr nützlich, oder etwa nicht?«
»Was hat die Sonne damit zu tun?«
Bren wußte sich kaum mehr zu helfen. »Die Sonne ist ein Stern wie all die anderen, die Sie am Himmel sehen und nur sehr viel weiter von uns entfernt sind.«
»Na schön«, antwortete Banichi nach einer Weile.
»Ich glaube zu wissen, worauf Sie hinauswollen. Aber wär’s nicht besser, die Philosophie da rauszuhalten? Das müßte doch irgendwie möglich sein.«
»Das Schiff da oben hat andere Sterne und Planeten bereist, Banichi. Und meine Vorfahren sind in der Nähe eines Sterns gewesen, der ganz wie unsere Sonne aussieht.«
»Das mag ja alles zutreffen, Nadi. Ich würde das Wort eines Paidhi niemals anzweifeln.«
Bren verlor langsam die Geduld. »Na, was glauben Sie denn, woher die Menschen gekommen sind?«
»Von einem anderen Stern.«
»Womöglich von einem jener kleinen Lichtpunkte am Himmel?«
»Kann sein«, antwortete Banichi. »Darüber habe ich mir nicht groß Gedanken gemacht.«
»Sie glauben tatsächlich, die Menschen hätten auf einem Stern gelebt?«
»Tja«, Banichi zuckte die Achseln, »wissen Sie, Nadi-ma, die Leute auf der Straße stellen solche Fragen für gewöhnlich nicht. Der Paidhi sucht nach einer Erklärung für Lord Geigi, aber ich fürchte, Sie werden ihn bloß verwirren.«
»Das glaube ich weniger. Lord Geigi ist gebildet und kennt unser Sonnensystem.«
»Trotzdem«, entgegnete Banichi. »An Ihrer Stelle würde ich in der Öffentlichkeit nicht so viel Aufhebens um die Sonne machen, Nadi. Sie könnten auf großes Unverständnis stoßen.«
Nachdenklich nippte Bren an seinem Glas. Er hatte während seiner Amtszeit noch nie Kontakt zur astronomischen Fakultät aufgenommen. Wilson-Paidhi oder irgendeiner seiner Vorgänger vermutlich auch nicht. Der wissenschaftliche Betrieb war, wie es schien, ziemlich weit heruntergekommen; er dämmerte vor sich hin, weil von den Kollegen aus anderen Fakultäten kaum jemand interessiert war an kosmologischen Fragen, geschweige denn an interdisziplinärer Zusammenarbeit. Es kam allenfalls hin und wieder vor, daß man sich dort im Zusammenhang mit irgendwelchen fachverwandten Problemen informierte über die Ionosphäre, über Sonnenwinde oder das Phänomen der Morgenröte.
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