Athyra
Nur, wenn ich keine andere Wahl habe. Du weißt sehr wohl, was ich tun will.«
»Du spinnst«, sagte Polyi. »Du kannst Seine Lordschaft nicht umbringen! Niemand kann das.«
Vlad schüttelte den Kopf. »Ich werde ihn töten. Die einzigen Fragen sind wann und wie. Wenn ich es jetzt nicht kann, werde ich auf einen besseren Zeitpunkt warten müssen. Aber jetzt wäre am besten. Ich hätte es gerne hinter mir.«
»Pah«, machte Polyi. »Darüber wirst du hinterher bestimmt anders denken.«
Savn kniete sich neben Vlad und faßte ihm an die Stirn. Zu seiner Erleichterung war sie kühl, auch wenn er im Gesicht etwas errötet schien. Vlad beobachtete ihn eindringlich.
»Wie fühlst du dich?« fragte Savn.
»Müde. Schwach. Sonst aber nicht schlecht.«
»Du solltest dich ausruhen.«
»Ich fürchte, das kann ich nicht«, erwiderte Vlad. »Mir geht zu viel durch den Kopf.«
Da fühlte Savn sich plötzlich und zu seiner Erheiterung daran erinnert, wie er Mäner immer zu erklären versuchte, daß er vor lauter Vorfreude auf den Puddingmorgen nicht einschlafen konnte, und dann hatte sie gelächelt und gesagt, er solle einfach die Augen zumachen, dann würde er schon müde werden. Er sagte: »Ist schon gut, mach einfach die Augen zu, und –«
Vlad lachte. »Alles klar, Päner. Schon verstanden. Weck mich auf, wenn sie kommen, mich zu töten.«
Er rutschte zu seinen Decken hinüber, deckte die Augen mit dem Arm zu und schlief, soweit Savn erkennen konnte, sofort ein.
Sie sahen ihm eine oder zwei Stunden beim Schlafen zu; dann beschloß Savn, daß sie sich unterhalten müßten. Er flüsterte Polyi etwas zu, sie bejahte, also nahm er eine Fackel und führte sie durch die Höhle, bis er sicher war, daß Vlad sie über die Entfernung nicht hören konnte.
»Was sollen wir machen?« fragte er.
»Ich finde, wir sollten nach Hause gehen«, sagte Polyi. »Wenn Mä und Pä sich wirklich Sorgen machen –«
»Was sagen wir ihnen?«
»Die Wahrheit«, erwiderte Polyi.
»Ach?«
Sie runzelte die Stirn. »Na, es ist doch nicht unser Problem, oder? Savn, du hast ihn gehört. Jetzt wissen wir, daß er Seine Lordschaft umbringen will. Ich meine, wir wissen, daß er es nicht kann, aber was, wenn doch?«
»Ja«, sagte Savn, »was, wenn doch?«
»Wir müssen ihn aufhalten, aus.«
»Müssen wir?«
»Du hast doch gehört, was er ist. Ein Auftragsmörder. Er bringt für Geld Menschen um. Er –«
»Er war ein Auftragsmörder. Und was ist mit Seiner Lordschaft?«
»Du glaubst doch dieses ganze Zeugs nicht etwa, oder?«
»Ich weiß nicht. Warum sollte er zugeben, daß er ein Mörder war, und dann über alles andere lügen? Das paßt nicht zusammen.«
»Er ist Ostländer; vielleicht paßt es für ihn zusammen.«
»Das ist keine Antwort.«
»Warum nicht? Weißt du etwa, wie die denken?«
Savn antwortete nicht; in Gedanken hörte er immer Vlads Stimme, die seine eigenen Worte sagte: Warum sehen die Leute immer nur, was sie sehen wollen! Eine Frage ohne Antwort, gewiß. Wenn Meister Wack auch nur zugeben würde, daß es wahr sei, würde er dann sagen, es sei aber unwichtig. Und vielleicht stimmte es ja; vielleicht war es immer frustrierend für jemanden, der Dinge wußte, die die meisten anderen nicht wissen wollten. Vielleicht war das der Lauf der Welt.
Aber wenn Vlad die Wahrheit gesagt hatte, dann befand er sich binnen eines Tages auf beiden Seiten des Problems. Und beide gefielen ihm nicht besonders. Wie soll man denn überhaupt wissen, was man glauben soll?
»Komm mit, Polyi«, sagte er und wollte zur Höhle, in der Vlad schlief.
»Du willst hierbleiben?«
»Ich weiß nicht, aber im Moment will ich mit Vlad reden.«
»Weißt du was«, sagte Polyi, »diese Höhle langweilt mich allmählich.«
Savn war versucht, ihr zu sagen, daß sie doch aus eigenem Willen mitgekommen war, fand es aber nicht nett. Abermals trieb er die Fackel in die Steinwand und setzte sich neben Vlad. Die Jheregs, die ihn erst aufmerksam beobachteten, beruhigten sich und ruhten weiter aus. Komisch, wie sie erkannten, daß er Vlad nichts tun wollte. Vielleicht hatten sie ein Mittel, die Wahrheit zu kennen. Vielleicht waren sie die einzigen Wesen auf der Welt, die wirklich Bescheid wußten, und insgeheim lachten sie alle anderen aus.
Darüber mußte er selbst lachen, und Vlad machte die Augen auf.
»Was ist so komisch?« fragte Polyi.
»Ich hatte gerade eine Erkenntnis«, antwortete Savn. »Die Wahrheit liegt im Auge des Jheregs.«
Vlad schüttelte
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