Athyra
Tem.«
»Der andere war am Tag davor. Ich war zu sorglos und habe mich zu nah an seinem Herrschaftshaus blicken lassen, und er hat mich mit Zauberkraft angegriffen.«
»Und ist gescheitert?«
»Ich habe«, sagte Vlad, »ein paar Tricks in petto. Daß ich so lange bei Tem geblieben bin, bis sie mich aufspüren konnten, war sehr nachlässig von mir. Die einzige Entschuldigung dafür ist, daß ich mich seit einigen Jahren nicht mehr um so etwas sorgen mußte. Jedenfalls wäre keiner der Angriffe morganti gewesen, keiner hätte also dem Jhereg Befriedigung verschafft. Meine Schlußfolgerung ist also, daß Loraan nur so eben mit ihnen zusammenarbeitet, und umgekehrt genauso. Sie brauchen einander, weil dies hier Loraans Gebiet ist und weil der Jhereg die besten Attentäter hat. Aber keiner Seite gefällt dieses Arrangement. Das hoffe ich für mich auszunutzen. Allerdings weiß ich nicht recht, wie.«
»Verstehe«, sagte Savn.
»Sind damit deine Fragen beantwortet?«
»Ja.«
»Willst du mir dann sagen, was du jetzt vorhast?«
»Ich werde dich nicht ausliefern«, sagte Savn.
Das schien Vlad zu beruhigen, der mit geschlossenen Augen tief durchatmete und sich an der Mauer zurücklehnte.
»Du wirst schnell müde, nicht wahr?«
»Ich denke«, sagte er, »daß ich mich in ein oder zwei Tagen selbst zu heilen beginnen kann. Danach sollte es nicht mehr lange dauern.«
»Also geht es darum, dich zwei Tage in Sicherheit zu behalten.«
»Mehr oder weniger. Ich hoffe, weniger.«
»Glaubst du, dieser Ort ist sicher?«
Vlad runzelte die Stirn, sah die Jheregs an, die sich erhoben und aus der Höhle flogen. »Kann sein«, sagte er. »Aber in jedem Fall werden wir jetzt gewarnt, wenn sich jemand nähert, also kann ich mich, solange sie das Gebiet nicht mit einer Teleportsperre überziehen, mit etwas Glück entfernen.«
»Mit einer was überziehen?«
»Ist schon gut. Entweder müßte Loraan genau wissen, wo ich bin, oder sehr viel Kraft aufwenden wollen, um das gesamte Gebiet abzudecken.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Laß gut sein. Ich meine, was auch geschieht, wir werden wenigstens vorgewarnt.«
Savn starrte dorthin, wo die Jheregs im schmalen Gang verschwunden waren, den der unterirdische Fluß bildete. »Ja«, sagte er. »Wenigstens werden wir vorgewarnt.«
Savn und Polyi machten den Kochtopf sauber, und Savn steckte ihn wieder in den Beutel. Sorgfältig wickelte er das gute Küchenmesser ein. Abermals halfen sie Vlad zu seinen Decken; er brauchte nicht mehr so viel Unterstützung wie vorher.
Es schien unerheblich, daß es außerhalb der Höhlen schon früher Nachmittag war, denn dort kam es ihnen eh wie in einer anderen Welt vor; Polyi sagte, sie sei müde, legte sich auf ihre Pelze und atmete bald ruhig und gleichmäßig. Savn zündete neue Fackeln an und räumte etwas auf. War schon wieder Endwoche? Würde er zu Hause auch aufräumen? Was würden Mä und Pä sagen, wenn sie ihn wiedersahen? Machten sie sich wirklich Sorgen?
Konnte er Vlads Worten auch nur im Ansatz trauen?
Während Vlad und Polyi schliefen, dachte Savn über alles nach, was Vlad ihm erzählt hatte. Was, wenn die Kräuter im Kampf gegen Fieber unnötig wären und nur aufgrund jahrelanger Gewohnheit benutzt würden? Was, wenn jede Art von Gewohnheit falsch wäre? Was, wenn Seine Lordschaft untot wäre?
Er dachte über Wahrheit und Wissen und Vertrauen nach, über Verantwortung, bis sie bar jeder Bedeutung in seinem Kopf herumwirbelten und nur gelegentlich auf einem Beispiel für Betrug, Unwissen, Verrat oder Vernachlässigung landeten, bevor sie wieder im Wellenbecken halb verstandener Allgemeinplätze und fragwürdigen Wissens verschwanden.
Auf einen Satz, den der Ostländer hatte fallenlassen, kam er immer wieder zurück: »Nimm nicht an, finde es heraus.«
Darüber dachte er sehr gründlich nach, erspürte die Wahrheit in diesem Satz und fragte sich, ob er dem Ostländer vertraute oder der Logik.
Selbst nachdem er den Entschluß gefaßt hatte, zögerte er noch einige Zeit, bevor er den naheliegenden nächsten Schritt unternahm.
Savn stand lange vorm Kurvenstein und starrte die Straße zum Herrschaftshaus hinunter, die bis zur Eingangspforte führte, welche allerdings außer Sichtweite hinter einer Biegung verborgen war. Jahrzehnte zuvor hatte er mit seinen Freunden auf dem Gelände gespielt, versteckt vor den Glasfenstern, nur von dem im höchsten Giebel aus sichtbar, und sie hatten das Gefühl von Gefahr genossen, wenn sie
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