Athyra
»Tatsächlich?«
»Ja, Herr.«
»Du hast Informationen für Seine Lordschaft?«
»Ich … das heißt –«
»Na, dann komm mal herein, und ich sehe nach, ob Seine Lordschaft Zeit hat. Dein Name, sagst du, ist Savn?«
»Ja, Herr.«
»Und du bist ein Bauer?«
»Ich bin Lehrbursche«, sagte er.
»Wessen?«
»Von Meister Wack, dem Medikus.«
Da wurden Turis Augen ganz groß, und einen Augenblick lang schienen ihm die Worte zu fehlen. Dann sagte er: »Tritt ein, tritt ein, bitte sehr.«
Das Innere des Hauses war sogar noch prachtvoller als das Äußere, besonders, als Savn klar wurde, daß der Raum, in dem er stand – in dem lediglich ein paar Haken in der Wand und eine weitere Tür gegenüber waren –, allein als Warteraum und zum Aufhängen der Mäntel diente.
»Warte hier«, sagte der Diener.
»Ja, Herr«, sagte Savn, während Turi durch die andere Tür verschwand und sie hinter sich schloß.
Ehrfürchtig starrte er das glatte, dunkle, polierte Holz an und dachte, dieser eine unmöblierte Raum mußte Seine Lordschaft mehr gekostet haben als Savns gesamtes Haus wert war. Er begutachtete den fein verzierten Messinggriff an der Innentür und versuchte, eine Form zu erkennen, da drehte er sich, und die Tür ging auf. Er machte sich auf Seine Lordschaft gefaßt, entspannte sich aber, als er Turi eintreten sah.
»Hier entlang, Junge«, sagte der Diener.
»Ja, Herr«, sagte Savn und folgte Turi mit weichen Knien in einen Saal, der an Herrlichkeit sein Fassungsvermögen überstieg. Die Wände schienen zu glänzen und waren mit vielfarbigen Bildern verziert. Die Möbel waren riesig und unglaublich vielfältig, und Savn konnte sich nicht vorstellen, auch nur einen Stuhl zu benutzen. Helles Licht strahlte in jeden Winkel, glitzerte an Objekten, deren Zweck unergründlich war, aus Kristall, funkelndem Metall und Keramik, die mit vollkommen fremder Technik glasiert war, so daß die Blau- und Rottöne tief und reich wie Erde aussahen.
»Paß auf, wo du hintrittst«, sagte Turi scharf.
Savn faßte sich gerade rechtzeitig, bevor er einen Tisch umwarf, der vollkommen durchsichtig war. Vorsichtiger ging er weiter, sah sich aber trotzdem um, und plötzlich ging ihm auf, daß einige der kristallenen und metallenen Gegenstände Trinkgefäße waren. Er glaubte nicht, daß er aus so etwas trinken konnte – dafür würde seine Hand zu sehr zittern.
Form und Farbe seiner Umgebung veränderten sich. Irgendwie war er in einen anderen Raum gekommen, der genausogut eine andere Welt sein konnte, so wie es um ihn herum aussah, bis ihm klar wurde, daß alle Gegenstände in diesem Zimmer Bücher waren – verschiedene Bücher – mehr Bücher, als Savn je geglaubt hatte, daß es gibt. Hunderte und Aberhunderte. Und Kästen, die offenbar nur für sie angefertigt worden waren. Und Tische, auf denen welche lagen, willkürlich aufgeschlagen –
Plötzlich fiel sein Blick auf eine Gestalt vor ihm, die ein strahlend weißes Hemd trug, das ein hellrotes Juwel an einer Kette um seinen Hals betonte. Auch die Hose war vollkommen weiß und weit, und sie reichte bis auf den Boden, so daß die Füße der Person nicht sichtbar waren. Savn schaute ihr ins Gesicht, dann wandte er sich erschrocken ab. Einerseits, obwohl er groß war, kam es Savn seltsam vor, wie menschlich er aussah; ungewollt schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: Er ist also doch nur ein Mann. Aber noch während Savn dies dachte, merkte er, wie er niederkniete und mit der Stirn den Boden berührte, als wäre diese Haltung so tief in ihm begraben gewesen, daß sie über Bewußtsein oder Entschluß hinausging. Als Savn so beschämt und ehrerbietig dort kniete, das Bild des Edelmannes der Athyra ins Gehirn eingebrannt, schien ihm, daß Seine Lordschaft sehr blaß wirkte.
Unnatürlich blaß.
Savn versuchte, nicht darüber nachzudenken, was das bedeuten konnte.
Als Seine Lordschaft sprach, klang er so selbstsicher, daß Savn aufging, wie Sprecher mit seinem ganzen Geschrei, seinen Litaneien und Wutausbrüchen Autorität nur vorgespielt hatte – daß wahre Autorität jemandem von Geburt an aufgedrückt war oder gar nicht. Er fragte sich, was Vlad dazu sagen würde.
»Was ist denn, Knabe?« fragte Seine Lordschaft. »Mein Diener sagte mir, du hast etwas über den Ostländer zu berichten. Wenn du mir sagen willst, wo er ist, das kannst du dir sparen. Ich weiß es bereits. Wenn du wegen deines Meisters hier bist, mit dem bin ich noch nicht fertig. Wenn du mir erzählen willst, in
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