Atlan 01 - Lepso 01 - Totentaucher
planetaren Magnetfeldes, die Qualität und Genießbarkeit von Wasser und einige andere Parameter bestimmen ließen, unter anderem auch die Gravitation.
Ich schaute eine Weile auf die Anzeige. Demnach betrug die Schwerkraft hier nicht mehr als ein Viertel Terra-Normgravo. Also war auch dieses Gerät defekt.
Was hatte mir dieser Händler da nur angedreht? Ich würde, sobald ich wieder zurückkam, ein Wörtchen mit ihm wechseln müssen. Vielleicht war er sogar ein Fall für die juristische Abteilung der USO. Gab es nicht sogar eine Verpflichtungserklärung der Regierung von Lepso, derartige Vorkommnisse …
Kümmere dich um die relevanten Dinge! , unterbrach mein Extrasinn.
Ich schluckte. Relevante Dinge? Worüber, wenn nicht über relevante Dinge , zerbrach ich mir denn im Augenblick den Kopf? Ich mahnte mich selbst zur Vorsicht: Sollte auch mein Extrasinn beschädigt worden sein?
Das Leben wurde immer schwerer. Ich seufzte, marschierte aber los.
Ich hatte von oben keine auffälligen Landmarken gesehen, keine Städte oder sonstigen Siedlungen. Vielleicht hielten sich die Freunde der Juristen ja in unterirdischen Höhlen auf. Also entschloss ich mich, einem der Schienenstränge zu folgen, in Richtung Zentrum des Sektors.
Die Oberleitungen hingen zwischen Masten, die etwa vierzig Meter voneinander entfernt standen. Masten aus Metall wechselten mit solchen aus Holz oder einem anderen, organisch wirkenden Baustoff ab. Die Masten streckten beidseitig zwei kurze Arme von sich, über die die Kabeln liefen, ein Strang oben, einer unten, so dass jeder Mast vier Leitungen trug. Die Leitungen schienen mir dicker, als ich ähnliche von der Erde in Erinnerung hatte. Außerdem liefen sie nicht, wie ich zunächst gedacht hatte, ständig parallel zueinander, sondern hingen hier und da durch, trafen sich und bildeten manchmal einfache, manchmal komplex anmutende Schnörkel, die mich an die Buchstaben eines schön geschwungenen Alphabets erinnerten. Das war interessant. Möglicherweise wollten mir die Leitungen eine verschlüsselte Botschaft zukommen lassen. Ich sollte mich hinsetzen und diese Zeichen studieren, zweifellos ein lohnenderes Projekt, als ominösen Freunden nachzujagen.
Der Boden war mal steinig, mal erdig. Fremdartige Pflanzen wucherten, die selten höher als bis zu meinem Knie aufragten. In der Ferne sah ich kleinere und größere Baumgruppen. Es waren Bäume, wie ich sie auch sonst von Lepso kannte, aber sie wirkten gestaucht, eher in die Breite gegangen als in die Höhe. Keine Wälder, nur kleinere Haine.
Irgendwo in der Nähe eines solchen Hains leuchtete es matt auf. Eine Art Kugelblitz fuhr die Leitung entlang. Ich blickte ihm nach, bis er am Horizont verschwand. Schade. Von solchen Dingen kann man gar nicht genug sehen. Blitze, manchen von ihnen verästelten sich auf eine merkwürdige Weise, so, als ob sie eine Landkarte in den Himmel einzeichnen wollten. Dieser Kugelblitz war völlig anders.
Geh weiter! , befahl mein Extrasinn. Was bildete er sich ein? Warum störte er meine Gedankengänge, statt sie zu unterstützen, wie es seine Aufgabe gewesen wäre?
Aber ich ging weiter, um Streit zu vermeiden. Es gab sowieso schon genug Streit auf der Welt.
Dann stand ich an einem Gleis. Anders als bei den irdischen Eisenbahnen bestand es nicht aus einem doppelten Eisenstrang, sondern aus einer einzelnen Rille, einer keilförmig-spitz zulaufenden Vertiefung. Die Rille war mit einer Art Perlmutt verschalt, einem weißen, irisierenden Stoff.
Mir kam in den Sinn, wie angenehm es wäre, wenn nun ein Zug vorbeiführe. Eine rauchende Dampflok, dahinter drei oder vier Pullman-Wagen mit allem Komfort. Mit einem Speisewagen. Was würde ich bestellen? Vielleicht eine Suppe. Eine Mulligatawny-Suppe mit süßem, milden Curry. Wer Curry sagt, denkt an Indien. Madras. Bombay. Chittagong. Waren das nicht alles Ziele des Orientexpress’?
Wo es Schienen gab, gab es Züge. Es würde das Vernünftigste sein, mich einfach hinzusetzen und zu warten. Zumal die Schwerkraft weiter zugenommen hatte. Ich war offenbar mitten in die Hochschwerkraftsaison geraten. Ich setzte mich, aber wozu? Ein findiger Zugführer würde einen Passagier, der zusteigungswillig war, auch dann nicht übersehen, wenn er lag. Wenn er ganz still lag. Wenn nun aber kein Orientexpress käme? Nun, ich würde einen anderen Zug nehmen. Man darf nicht wählerisch sein auf fremden Welten. Ich wollte mich in Bescheidenheit üben. Ja, hier im Gelände lernte man Demut.
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