Atlan 02 - Lepso 02 - Die acht Namenlosen
mir gemacht?« Aus seinen Worten sprach Verwirrung.
Ich erkannte, dass ihn eigentlich eine ganz andere Frage beschäftigte. »Seit Irhe’vorma dich ins Reich der Träume geschickt hat, ist einige Zeit vergangen«, klärte ich ihn auf. »Deine Wunden verdankst du nicht dem Roboter, sondern unserem ohnmächtigen Freund hier.« Ich wies auf den Terraner. »Ich habe dich inzwischen aus dem Sammelhaus getragen. Wir befinden uns ganz in der Nähe in einer der Elendshütten.«
»Und … er?« Ohm ging zu dem Ohnmächtigen und starrte ihm ins Gesicht. Seine Hände ballten sich, der Blick wanderte zu der auf dem Boden liegenden, blutverschmierten Metallscheibe.
Einen Augenblick befürchtete ich, Ohm werde sich auf den Terraner stürzen, doch er behielt die Beherrschung.
Ich musterte den Schwarzhaarigen. An seinem Kinn bildete sich eine Beule. Aus dem rechten Nasenloch rann ein dünner Blutfaden, vermischt mit schleimigem Sekret. Er trug zerschlissene graue Kleidung. Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, was mir bei seinem Anblick ungewöhnlich vorkam. Ihm fehlte an beiden Händen der Ringfinger. Eine zu große Übereinstimmung, um das Resultat einer zufälligen Verletzung zu sein.
Der Anblick erinnerte mich unwillkürlich an den Kahlen, der nur noch über ein Auge verfügte. Und je länger ich darüber nachdachte, desto deutlicher wurde mir, wie rau die Sitten in der Schweißöde tatsächlich waren. Verstümmelungen schienen an der Tagesordnung zu sein.
Was erwartest du an einem Ort, an dem die schlimmsten Verbrecher versammelt sind, dazu noch unter dem Regiment eines Roboters, der mit gnadenloser Härte herrscht?
»Er hat uns angegriffen, kaum dass ich dich in diese Hütte geschleppt habe«, beantwortete ich die Frage meines Begleiters.
»Warum?«
»Scheinbar benötigt man hier keinen Grund, um aufeinander loszugehen.« Mir kamen die wenigen Worte des Angreifers wieder in den Sinn, die er gesprochen hatte, ehe er auf uns losgegangen war. Ihr habt sie getötet, und dafür werdet ihr sterben. Was hatte er damit gemeint? Offenbar hatte er uns verwechselt.
Unser Feind kam zu sich, was sich zuerst in einem verhaltenen Stöhnen äußerte. Noch ehe er die Augen aufschlug, tasteten seine Finger über die Schwellung am Kinn.
Plötzlich verharrte er in der Bewegung, versteifte sich – und zog dann ruckartig die Beine an.
»Vergiss es!«, schnauzte ich ihn an. »Eine falsche Bewegung, und du lernst mich kennen. Diesmal werde ich weniger zimperlich sein!« Ich beschloss, ihn mit harten Bandagen anzupacken; um hier verstanden zu werden, musste man sich im Ton anpassen.
Der Schwarzhaarige erwies sich als robust. Ihm war nicht die geringste Benommenheit anzumerken, als er sich langsam zur Seite rollte und aufsetzte.
Seine ersten Worte überraschten mich. Er schleuderte mir keine Hasstiraden entgegen, feindete mich nicht an und zeigte sich auch nicht schweigsam und verschlossen. Stattdessen fragte er leise, kaum verständlich und von tiefer Verzweiflung geprägt: »Warum habt ihr sie umgebracht?«
Während Ohm sichtlich nach Worten rang, ergriff ich das Wort. »Was meinst du damit?«
»Ihr habt mich besiegt. Das erkenne ich an. Aber bevor ich sterbe, will ich wissen, warum ihr es getan habt.«
»Wir wissen nicht, wovon du sprichst.« Ich hinderte ihn nicht daran, aufzustehen und erneut sein Kinn zu betasten. »Ich weiß nicht einmal, wen du meinst. Aber ich versichere dir, dass weder ich noch mein Begleiter irgendjemanden getötet haben.«
Der Terraner wankte einen Schritt zurück, wies auf den schwarzen Vorhang, hinter dem er sich verborgen gehalten hatte, als wir die Hütte betraten.
»Du lügst! Du … du lügst.« Er kaute an den Nägeln von Zeige- und Mittelfinger. Er sah nach unten, ließ Schultern und Kopf sinken. Er war nichts weiter als ein sprichwörtliches Häufchen Elend.
Plötzlich überschlug sich seine Stimme: »Du hast sie abgeschlachtet, du Schwein!« Er warf sich herum, sprang zu dem Vorhang und riss ihn zur Seite.
Der Verwesungsgestank, der uns entgegenschlug, war kaum erträglich.
Ohm hob die Hand vor den Mund. Ich wandte den Blick ab.
»Warum?«, schrie der Terraner, brach vor der blonden Toten in die Knie und fuhr mit der Hand über die bleiche Wange.
Die Frau lag in der riesigen Lache ihres Blutes. Man hatte ihr die Kehle durchgeschnitten. Die Augen blickten verdreht nach oben, der Mund stand halb offen.
Der Mann, den wir für unseren Feind gehalten hatten und der in Wirklichkeit
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