Atlan 03 - Lepso 03 - Befreiung in Camouflage
bekommen. Viele von ihnen schicken Stoßgebete an ihre Götter und schwören, alles in ihrem Leben viel besser zu machen, wenn sie die Möglichkeit dazu erhalten.«
»Und natürlich würden sie sich niemals an diese Schwüre halten«, fiel mir Ylve ins Wort.
»Viele wahrscheinlich nicht. Manche schon. Ich frage dich: Ist es nicht allein der Gedanke, der zählt? Der Wunsch, dieselben Fehler nicht noch einmal zu machen? Sie unterziehen ihre Moralvorstellungen einer Überprüfung, sie unterscheiden zwischen Gut und Böse, zwischen Versagen und Gelingen.«
»Das mag ja alles sein«, sagte Ylve mit deutlich abgekühltem Interesse an einer Diskussion. »Aber ich höre dich die ganze Zeit von anderen reden. Tatsache ist, dass mein Vermögen, für andere Wesen etwas zu empfinden, sehr eingeschränkt ist.« Sie kniff die Augen zusammen. »Es würde mich allerdings interessieren, warum du dir all diese Mühe gibst, ein paar verlorene Seelen zu retten, denen kein Hahn hinterherkräht, wenn sie nicht mehr sind?«
Seltsam. Sie benutzte, obwohl sie arkonidischer Herkunft war, eine terranische Redewendung, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. War dies ein Hinweis auf ihr Vorleben, auf ihre Herkunft?
»Ich war schon immer ein Samariter«, sagte ich.
»Du bist auf jeden Fall kein Schacherer oder Händler. Aber was bist du dann?« Ihr Blick wurde prüfend. »Bekanntermaßen kümmern sich heutzutage lediglich Priester und Unsterbliche um das Seelenheil Anderer.«
War es wirklich nur Zufall, dass sie mich durchschaute? War der Sittenverfall in der Milchstraße tatsächlich schon so weit fortgeschritten, dass sich niemand mehr um das Schicksal seiner Mitbürger sorgte?
»Sag endlich, was du willst«, forderte Ylve schließlich. »Ich bin müde und möchte mich ausruhen.«
»Du bist nicht müde!«, erwiderte ich wütend. »Dein Hass und dein Wunsch nach Rache wühlen in dir. Diese Gefühle sind so stark, dass sie alles andere übertünchen.«
»Herzlichen Dank für diese laienhafte Analyse«, sagte Ylve spöttisch. »Sollte ich mich für eine weitere Befragung nicht auf meiner Couch ausstrecken? Ist es das, was du eigentlich willst? Stehst du darauf, Schwangere zu vögeln?« Sie zeigte ein hässliches Lächeln. »Vielleicht ließe ich mich dafür herab …«
Ich hatte die scharfe Entgegnung bereits auf den Lippen, als ich mich plötzlich daran erinnerte, was für bittere Erfahrungen die Frau in ihrem Leben bislang gemacht hatte. Für sie war ich bloß ein weiterer Mann, dem sie nicht vertrauen konnte. Ich sammelte meine Gedanken und beschloss, aufs Ganze zu gehen.
Nicht! , warnte mich der Extrasinn. Du darfst dieser Frau unter keinen Umständen reinen Wein einschenken. Sie würde dich aus den billigsten Gründen verraten!
Ich ignorierte den Logiksektor. Und verließ mich auf meine Intuition.
»Ich werde nicht zulassen, dass wir alle in diesen Baracken zugrunde gehen, weil es die da Tromin so wünschen«, sagte ich schließlich. »Und noch weniger werde ich es erlauben, dass du dein Kind für den Fehler eines anderen büßen lässt. Ob du es willst oder nicht – ich werde dich retten.«
Ylve lachte so laut, dass sich mehrere unserer Leidensgenossen umdrehten. »Du bist ja noch viel verrückter als ich«, kicherte sie. »Wie willst du denn unsere Flucht bewerkstelligen? Willst du die Wächter zu Tode argumentieren?«
»Du alleine hältst den Schlüssel zum Erfolg in der Hand beziehungsweise im Arm.«
»Du redest von diesem wertlosen Klumpen Metall?« Ylve deutete auf den Metallarm, den sie mit einem Tuch behelfsmäßig an ihren Rumpf gebunden hielt. Längst schon hatte sie darauf verzichtet, seinen Anblick vor den anderen Lagerinsassen geheim zu halten.
»Ganz richtig. Mit seiner Hilfe, einem Batteriepack, Werkzeug und ein paar Tagen Zeit könnte ich Wunder bewirken.«
»Hat dich der Aufenthalt hier in den Wahnsinn getrieben?«
»Mitnichten. Ich besitze gewisse Kenntnisse der Feinmechanik. Darüber hinaus habe ich so meine Erfahrungen, wie man mit Sklaventreibern umgehen muss.«
Sie musterte mich, plötzlich nachdenklich geworden. »Irgend etwas Besonderes ist an dir. Etwas, das ich nicht einzuschätzen vermag.«
»Du glaubst doch, hinter Masken sehen zu können, nicht wahr?« Ich wollte, dass sie selbst erahnte, wem sie gegenübersaß. »Du hast den da Tromin durchschaut. Du hast das kleine, hilflose Kind gesehen, das er hinter einer Fassade aus Grausamkeit versteckte. Willst du deine Künste nicht
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