Atlan TH 0003 – Der Katzer
sie. Plötzlich begann sie sich in einem inneren Impuls dagegen zu wehren, die Welt um sich herum zu vergessen. Vor wenigen Stunden hatte sie sich noch in Gefangenschaft befunden, an der Seite ihres Vaters, und nur Joscan Hellmuts Auftritt in der Kommandozentrale hatte dazu geführt, dass man sie auf freien Fuß setzte. Ihr Vater aber stand weiterhin unter Anklage. Sie durfte das nicht einfach übergehen oder so tun, als würde sich dieses Problem auf ebenso einfache Weise lösen lassen wie ihres.
Vielleicht zog sie unbewusst die Stirn in Falten, vielleicht wurde der Ausdruck ihrer Lippen um eine Spur härter – Bjo Breiskoll jedenfalls registrierte ihren Stimmungsumschwung sofort. Sein Blick veränderte sich. Die Wärme, die er eben noch verströmt hatte, verschwand. Plötzlich wirkte er, als hätte man ihn aus einem Traum gerissen.
Es tat ihr weh, das so deutlich zu erleben; zu sehen, wie er ihre innere Wandlung auf sich bezog. Aber sie hatte nicht die Kraft, diesen Irrtum zu korrigieren.
»Ich sorge mich um meinen Vater«, sagte sie in der Hoffnung, dass er diese Andeutung einer Erklärung richtig verstand. »Ich habe Angst, dass das Gericht der Anklage folgt und ihn als Meuterer verurteilt.«
Dem Katzer fiel es schwer, sich auf das neue Thema einzustellen, nachdem er eben noch geglaubt hatte, es könnte sich ein aufschlussreiches Gespräch über die Beziehung zwischen France und ihm selbst entwickeln. Allerdings war er fair genug, dem Mädchen zuzugestehen, dass es Pergs Schicksal mehr bedrückte und beschäftigte als alles andere.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte er. »Es wäre absurd.«
France fand diese Antwort ein wenig einfältig, aber sie machte ihm keinen Vorwurf daraus.
»Du unterschätzt Gavro Yaals Einfluss«, erwiderte sie leise. »Es ist ihm noch nie schwergefallen, die Leute auf seine Seite zu ziehen. Du hast doch die Entwicklung ebenso miterlebt wie ich, nachdem uns Perry Rhodan die SOL übereignet hatte. Anfangs wurden Menschen, die Yaals Ansichten skeptisch oder ablehnend gegenüberstanden, zwar geduldet, aber sie bekamen auch damals schon zu spüren, dass sie ziemlich weit am Rand der Gemeinschaft standen. Mit den Jahren wurde das immer schlimmer, und heute stempelt man sie einfach als Meuterer ab. Die meisten Solaner befürworten das, und daran kommt auch das Gericht nicht vorbei.«
Bjo schüttelte den Kopf. »Nein, France! Das Gericht ist auf Tatsachen angewiesen, es muss den Fall untersuchen und prüfen, ob dein Vater tatsächlich gegen die Interessen der Solaner gehandelt hat. Spätestens dann wird sich herausstellen, dass er einem persönlichen Bedürfnis gefolgt ist und nie die Absicht hatte, sich von den allgemeinen Regeln der Gemeinschaft loszusagen.«
»Das sagst du, Bjo, weil du es weißt! Der Richter kann aber nur beurteilen, was er getan, und nicht, was er dabei gedacht hat! Muss ich dir noch klarmachen, was das bedeutet? Ist dir bekannt, welche Strafe auf Meuterei steht?« Sie steigerte sich so sehr in die Vorstellung hinein, dass ihre Stimme umkippte und ihre Augen feucht wurden.
»Ich weiß«, sagte Bjo matt. »Und ich würde ihm gerne helfen, aber ich habe keine Ahnung, wie ich das tun soll, ohne seine Lage noch weiter zu verschlimmern.«
»Niemand kann ihm helfen. Das ist ja die Tragik. Wir können nur dasitzen und abwarten, wie das Gericht entscheidet.«
Der Katzer antwortete nicht. Nachdenklich nippte er an seinem Becher. France beobachtete ihn. Er vermied es, sie anzusehen, und unwillkürlich fragte sie sich, warum.
Das Summen des Interkoms unterbrach ihre Gedanken und die Stille, die sich in dem Raum ausgebreitet hatte. Ihr Kopf ruckte herum. Bjo blickte auf. Für den Bruchteil einer Sekunde sahen sich die beiden Menschen an, als ahnten sie, dass eine Nachricht auf sie wartete, deren Übermittlung keinen Aufschub duldete. Dann betätigte France eine der Kontaktplatten, die in der Armlehne ihres Sessels integriert waren. Die Verbindung wurde hergestellt.
Der Anrufer war Joscan Hellmut. Der ehemalige Sprecher der Solgeborenen hatte die Stirn in Falten gelegt.
Seine Lippen waren ein dünner Strich. »Ihr müsst jetzt die Nerven behalten«, brach es aus ihm heraus. »Perg ist geflohen!«
France sprang auf. Einen Moment lang musste sie sich an der Sessellehne festhalten, weil ihre Knie zitterten, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. »Er ist ... geflohen?«, stammelte sie voller Unglauben. »Wie konnte das passieren?«
»Ich weiß es nicht,
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