Atme nicht
die sie anzog, während ihre Shorts zum Trocknen auf der Brüstung der Terrasse lagen. Meine nasse Kleidung stopfte ich schnell in die Waschmaschine, damit Mom sie nicht sah.
Meine Eltern wussten, dass ich im Bach badete. Dass ich mich unter den Wasserfall stellte, wussten sie nicht. Als wir hierhergezogen waren, hatten sie mich vor dem Wasserfall gewarnt, mir jedoch nie verboten, mich darunterzustellen – vermutlich kam es ihnen gar nicht in den Sinn, dass ich so etwas tun könnte. Und ich hatte nicht die geringste Absicht, es ihnen zu erzählen. Wenn sie meine nasse Kleidung also nicht zu Gesicht bekamen, würden sie auch keine unangenehmen Fragen stellen.
Nicki und ich setzten uns auf den Fußboden des Wohnzimmers und ließen uns von der Sonne bescheinen, deren Licht durch die Nadelbäume draußen drang.
»Bekomm das bitte nicht in den falschen Hals«, sagte Nicki, »aber ich verstehe nicht, warum jemand, der in solch einem Haus wohnt, versucht sich umzubringen.« Sie sah mich von der Seite an, doch ich starrte stur aus dem Fenster. Wahrscheinlich war ihr nicht klar, dass ich diese Frage schon hundert Mal zu hören bekommen hatte. Und dass ich sie mir auch oft selbst gestellt hatte.
Ohne sie je beantworten zu können. Ich wusste, dass es etwas mit der Glasscheibe zu tun hatte, die im Laufe der Jahre immer wieder aufgetaucht und verschwunden war, um schließlich nicht mehr zu weichen, als ich auf die Highschool kam. Dr. Briggs hatte mich einmal gefragt, ob ich mich noch erinnern könne, wann ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt habe, durch eine Scheibe von meiner Umgebung getrennt zu sein. Ich dachte zunächst, dass es vielleicht damals, in der Zeit mit Onkel Frank, gewesen sei, andererseits war mir aber so, als hätte ich dieses Gefühl auch schon davor gehabt. Ich wusste es einfach nicht genau.
Nachdem Nicki und ich eine Weile herumgesessen hatten, stand ich auf und holte uns eine Schale mit Nüssen, Sonnenblumenkernen und getrockneten Cranberrys. Wir stopften eine ganze Menge in uns rein und leckten uns das Salz von den Fingern.
»Das ist doch kein … Vogelfutter, oder?«, fragte Nicki und hörte abrupt auf zu kauen.
Ich lachte. »Das fragst du mich jetzt, wo wir schon die Hälfte gegessen haben? Was, wenn ich Ja sagen würde?«
Sie stieß ein Quietschen aus.
»Nein, nein«, sagte ich grinsend. »Das ist nur dieses Naturkostzeug, auf das meine Mutter steht. Außerdem esse ich es doch auch, oder?«
»Ja, aber du hast ja auch Selbstmordgedanken.«
Ich lachte wieder. Ihr Gesicht erstarrte sofort, als hätte sie den Satz am liebsten gelöscht. Aber das war okay. Eigentlich wünschte ich mir sogar, dass die anderen in der Schule auch mal solche Sachen zu mir sagen würden, statt immer nur von Weitem verstohlene Blicke auf mich zu werfen. Nicht dass ich gewusst hätte, wie ich ihnen das hätte klarmachen sollen.
»Wie war dein Vater denn so?«, fragte ich. Ich hatte mich auf die Couch gelegt, während Nicki noch auf dem Boden saß und sich die letzten Nüsse und Beeren in den Mund stopfte.
Sie hielt mitten in der Bewegung inne und starrte zu mir hoch. Nachdem sie die Finger aus dem Mund genommen hatte, sagte sie: »Ich hatte mal eine Puppe, die eigentlich Kent gehörte. Na ja, es war ein Spielzeug für Jungen, Actionfigur sagte Kent dazu. Jedenfalls habe ich diese Puppe sehr geliebt und ihr den Namen Slade gegeben, weil ich das für einen supertollen Namen hielt.« Sie fuhr mit den Fingern über den Boden der Schale, um das restliche Salz aufzustippen. »Eines Tages habe ich Slade unten im Seaton Park vergessen und es erst gemerkt, als wir wieder zu Hause waren. Ich bin total ausgeflippt. Matt und Kent haben sich über mich lustig gemacht und gesagt, Slade würde sicher gestohlen werden oder vielleicht auch kaputtgehen, wenn’s regnet, und dann sagten sie, ich solle aufhören rumzuflennen, es sei doch nur ein Spielzeug. Doch mein Dad fuhr zum Park zurück, um Slade zu holen, obwohl das Abendessen schon fertig war. So ein Mensch war mein Dad.« Sie steckte sich die Finger wieder in den Mund, um das Salz abzulutschen. Ich starrte auf ihre Lippen.
Sie schien darauf zu warten, dass ich etwas sagte. Als ich das nicht tat, zog sie die Hand aus dem Mund und wedelte sie hin und her, damit sie trocken wurde. »Er ist oft nach Sandford rausgefahren, um auf Pferde zu wetten. Manchmal nahm er mich mit. Ich fand es toll, den Pferden zuzusehen, besonders wenn sie direkt an mir vorbeidonnerten. Wir haben uns
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