Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
lachte vor Glück.
Der Sommer verblasste, Mary und ich trafen uns kaum noch, wir hatten ja auch keinen Namen für das, was wir miteinander taten. Meine Gedanken darüber waren abschätzig und beiläufig genug, mich in einen Widerwillen gegen mich selbst zu stürzen, der es mir unmöglich machte, dieses namenlose Tun fortzusetzen, schlicht deshalb, weil ich mich taub fühlte mit ihr, lustlos und leer. Wozu das Patchouli sein Übriges beitrug. Die Triebabfuhr hatte mich ruhiger und geduldiger mit Lio gemacht, gelassener der Arbeit gegenüber und gleichmütiger darüber, dass ich mich nach Josefine sehnte, dass ich in sie verliebt war. Den Auftrag für das Start-up, den Max mir vermittelt hatte, hatte ich vergeigt. Sie hatten einen anderen Graf i ker hinzuziehen müssen, nachdem ich die Deadline zweimal hatte platzen lassen und auch keine Zeit für die Sitzungen gefunden, ja selbst den Präsentationstermin nicht eingehalten hatte. Wie das Zerkratzen und Zerschnipseln der Skizzen und Zeichnungen machte auch der Verlust dieses Auftrags nach einem anfänglichen Aufruhr einem seltsamen Vakuum Platz. Er habe sich für mich eingesetzt, sagte Max, als ich ihn wegen des Vierteljahresmagazins anrief, doch sei es ihm beim besten Willen nicht mehr möglich gewesen, an meiner Mitarbeit festzuhalten, sei er doch selbst einem gewissen Druck ausgesetzt, intern, und könne seine eigene Teilnahme am Projekt nicht gefährden, schließlich sei er auf den Job angewiesen, ich verstünde sicher.
Aber ob ich nicht wieder einmal mit ihm und Regula? Ich verstand. Und nein, ich wollte nicht mit Max und Regula. Zu vieles schien mir nicht mehr vermittelbar, selbst unter Freunden nicht, zu peinlich waren mir meine Versäumnisse.
Als der Geldautomat wieder einmal die Herausgabe von Bargeld verweigerte, betrat ich kurz entschlossen die Schalterhalle, zog eine Wartenummer und setzte mich in einen der schwarzen Ledersessel, wo ich mir ein paar Argumente zurechtlegte, während ich den Buggy schaukelte, damit Lio ruhig blieb. Ich betrachtete sie zweifelnd.
»Du wirst mir hier nicht helfen können«, sagte ich, und sie pumpte verständnisvoll mit ihrem Schnuller. Weshalb eigentlich? Nicht jeder Bankkunde kann im dreiteiligen Nadelstreifen mit Einstecktuch erscheinen, dachte ich, während ich einen Kunden mit Metallkoffer beobachtete, der eiligen Schritts das Gebäude verließ. Und überhaupt, wir sind Künstler. Trotzig betrachtete ich die rissigen Gummikappen meiner Chucks. Comiczeichner. Ein Glockenton rief uns in die Kabine F, wo uns eine sehr junge Kundenberaterin erwartete. Ich stellte den Antrag auf einen Privatkredit. Die Frau trug eine weiße Bluse, einen dunklen Blazer und hatte die Haare straff nach hinten gebunden. An ihren Ohren baumelten Goldringe vom Durchmesser einer Espressotasse. In ihrem Nasenflügel war ein Loch, doch der Piercingschmuck fehlte. Sie konnte meine EC -Karte wegen der langen Fingernägel nicht mit dem nehmen, was die Therapeutin Pinzettengriff nannte, doch schneller als ich schauen konnte, hatte sie die Karte in einen Schlitz an ihrem Computerterminal eingeführt, tippte auf der Tastatur herum, sah in den Bildschirm und runzelte die Stirn. Mit einem Blick sah sie das finanzielle Desaster meiner letzten zwei Jahre, sie tippte nochmals, prüfte die Zahlenkolonnen, die erschienen, und richtete dann ihren Blick auf mich. Er war offen und ließ nichts erkennen als professionelle Freundlichkeit. Die goldenen Kreolen schaukelten. Ich textete los.
Das Bankinstitut fördere das unabhängige Kulturschaffen und sei Hauptsponsor des Werkstipendiums, das mir für meinen ersten Comicband verliehen worden war. Das sei zwar schon ein paar Jahre her, ich sei inzwischen Vater geworden, sie hob die zu zwei dünnen Bogen gezupften Augenbrauen, hätte jedoch den zweiten Band beendet, der im kommenden Frühjahr erscheinen werde, ich könne den Verlagsvertrag gern schicken, log ich, die Beraterin winkte ab. Ich solle das Formular ausfüllen, hier und hier unterschreiben, hier noch einmal, danke, »Sie bekommen Bescheid«. Sie begleitete mich aus dem Kabäuschen, das mit Stellwänden von der Schalterhalle abgeteilt war, und reichte mir die Krallenhand. »Alles Gute«, sagte sie zum Abschied und blickte lächelnd auf Lio, die am Bügel ihres Buggys lutschte, dann aufsah und die Frau anlachte. Die lachte zurück, und für einen Augenblick sank die starre Maske der Professionalität und zeigte mir eine ganz normale junge Frau.
»Das hast du
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