Atmen, bis die Flut kommt: Roman (German Edition)
gut gemacht!« Glücklich stieß ich den Buggy die Bahnhofstraße hinunter, auf den Bleicherweg, über die Bärenbrücke und die Gartenstraße, holte am Kiosk Parisienne Super, steckte mir eine an und dachte darüber nach, wie ich uns als Team – Lios Charme und ihr Lächeln in Kombination mit dem Bonus des alleinerziehenden Künstlervaters – künftig zu unserem Vorteil nutzen könnte. Lio blubberte.
Zu Hause fand ich eine Nachricht von Max, der nicht locker ließ und mich ständig auf einen Mittagstreff oder zu sich und Regula einlud. So ging ich tags darauf mit Lio an den Hallwylplatz, wo er und Regula sich mit ein paar Leuten trafen. Wir saßen in der Spätsommersonne, tranken Bier aus kleinen Flaschen und führten diese belanglosen Samstagnachmittagsgespräche, in denen es um alles ging und um nichts. Es war einer der letzten warmen Tage, ein leichter Wind bewegte die Kronen der Lindenbäume und das Schattenmuster auf dem Asphalt. Ob der FCZ heute das Derby gewinnen würde, fragte einer, ja selbst wenn er gewänne, würde er den Meistertitel nicht mehr holen, der sei Servette bereits sicher und die Zürcher würden ihn verpassen – bereits zum zwölften Mal in Folge.
»Stimmt nicht«, korrigierte ein anderer.
»Richtig«, pflichtete der Dritte bei, einundachtzig haben sie den Pokal das letzte Mal geholt, und er überlege jetzt ernsthaft, zu GC überzulaufen. Protestgeschrei.
»Bringst du Äpfel und Chips mit?«, fragte eine der Frauen ihren Mann, der aufstand, um einkaufen zu gehen, »und Bier«, sagte die Frau, die neben ihr saß. »Und Cervelats«, riefen Kinder aus dem Brunnenbecken. Jemand hatte den Grill angezündet, die Kinder fegten spritzend durch das Wasserbecken und hinterließen auf dem Asphalt schnell trocknende Tappspuren ihre Füße.
Ich saß mit aufgekrempelten Hosen auf dem Brunnenrand und hielt Lios Zehen ins Wasser. Sehr weit über uns zerfaserte der Kondensstreifen eines Düsenflugzeugs zu einem breiten Streifen, der langsam verblasste, bis er von einem zweiten gekreuzt wurde. Der Geruch von nassem Staub mischte sich mit dem Rauch des Holzkohlenfeuers, in der Penalty Bar an der Ecke lief zum wiederholten Mal Don’t worry be happy und eine sehr tief sitzende, uralte Wut begann in mir zu kochen. Ein rosa Schimmer mischte sich ins Abendlicht, jemand zündete die bunte Lichterkette zwischen den Bäumen an. Noch immer rannten die Kinder jauchzend durch das Brunnenbecken, legten sich auf den Boden und beobachteten anschließend das Verschwinden ihres Körperabdrucks. Lio tauchte die Zehen ein, zog sie zurück, streckte die Beine und tauchte sie bis zu den Knöcheln ins Wasser, ließ zuletzt die gepolsterten Füße über dem Wasser schweben. Eine Hand berührte mich an der Schulter, Regula, dachte ich und wandte mich lächelnd um, doch es war Mary. Sie stand gegen das Abendlicht gelehnt, ein kurvenloser, schmaler Schemen. Die langen Haare verliehen ihrer Figur eine längliche, fast rechteckige Silhouette. Sie stellte ihr Rad ab und setzte sich neben mich, behielt jedoch die hochhackigen Sandalen auf dem Asphalt. So saßen wir nah beieinander und blickten in verschiedene Richtungen. Über die Schulter deutete sie mit einem Kopfnicken auf Lio.
»Dein Kind«, stellte sie fest, als wäre ihr das neu. Ich antwortete nicht.
»Wie alt ist sie eigentlich?«
»Achtzehn Monate.« Mary beobachtete Lio verstohlen.
»Schläft sie durch?«
»Mhm.«
»Hat sie schon Zähne?« Und als ich nicht antworte, »läuft sie schon?«
Als checke sie die technischen Details eines Neuwagens.
»Nein«, sagte ich ärgerlich, » das weißt du doch.«
»Mir ist halt manches klar geworden, inzwischen.«, sagte sie nach längerem Schweigen.
»So? Was denn?«, fragte ich angriffslustig.
Mary sah auf ihre Zehen, die abwechselnd blau und grün lackiert waren.
»Dass du, nun ja, ich kann verstehen«, sie brach ab, sah schnell zu Lio, dann wieder auf ihre Füße. »Dass du sie nicht so gern zeigen willst, dabei hätte ich doch … ich meine, ich hätte doch verstanden … ist doch klar, dass das nicht einfach … ich meine, da schämt man sich vielleicht?«
»Man«, sagte ich. Sie schwieg und strich den Saum ihres Rocks über die Schenkel zu den Knien hin glatt.
»Kann es sein, dass mit dem Kind … ich meine … ist sie … mir kommts so vor, als ob …« Sie wand sich, und ich konnte nicht umhin festzustellen, dass ich es mit Schadenfreude sah.
»Na ja, ich kenn mich da nicht aus.«
»Womit kennst du dich nicht
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